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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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das für ihn, arme Deppen, Zurückgebliebene, Verlorene, die in ihrer auftrumpfend vorgeführten Überzeugung, die Größten zu sein, für Salger auch völlig ununterscheidbar waren, lauter gleiche, sinnlos laute Männer, im Volltrottelmodus ihrer Großmännlichkeit. Von diesen Menschen war er sehr weit weg. Und anstatt eingeschüchtert zu sein, hatte Salger sich in dem Moment auf seine Arbeit bei Assperg gefreut, weil er nichtfür diese Trottel, sondern für Holtrop arbeiten würde. Ein junger Mann, der sich mit dem Namen Schmidt vorstellte, holte Salger mit der Frage aus der Gruppe der Asspergmanager heraus, ob er für das Schönhausener Tagblatt, für das er, Schmidt, einen kleinen Bericht über das heutige Frühstück zu schreiben habe, ihm eventuell ein Interview geben würde. »Ein Interview?« fragte Salger erstaunt. »Ja.« »Wieso denn das? Worüber? Wozu?« Auf diese Frage hin schaute Schmidt Salger mit einer so freundlichen Offenheit an, sagte dazu, »geht auch ganz schnell«, dass Salger selbst innerlich aufging und dem Kurzinterview zustimmte. »Kommen Sie mit«, sagte Schmidt, »gehen wir eben dort in diese Ecke, da ist es etwas ruhiger.«

XI
    Die Chinesen saßen klein in riesenhaften, wuchtigen Sesseln, als die deutsche Delegation die Bibliothek betrat. Die Chinesen blieben sitzen, sie wurden immer kleiner, die Sessel um sie herum immer klobiger und größer, je länger dieser Moment dauerte, der Holtrop die ganze Sinnlosigkeit seines chinesischen Abenteuers, die Riesenhaftigkeit und bäurische Zurückgebliebenheit von China, die Primitivität und Langsamkeit dieses allergröbsten aller Völker oder Reiche Asiens so deutlich vor Augen führte, dass es ihm weh tat im Kopf. Nichts geschah, noch nicht einmal Blicke wurden getauscht, und Holtrop schaute auf seine Uhr am Handgelenk, dann zu Magnussen, der Holtrop zwar sein Gesicht entgegendrehte, aber genauso ausdruckslos vor sich hin schaute wie die Chinesen, ins Nichts etwa zwanzig Zentimeter vor Holtrops Gesicht. Der mittlere Chinese stand auf. Er war der Chef, der bei den bisherigen Verhandlungen nicht dabeigewesen war, »Minister Manolo«, sagte Magnussen leise zu Holtrop, und die Verhandlungsführer von gestern, die sich bei dem Essen abends im Grissini als normale Aktivisten der Geschäftswelt präsentiert hatten, folgten dem vorgegebenen Zeremoniell und standen kurz nach ihrem Chef auch auf.
    Der Minister machte einen kleinen Schritt nach vorn, verneigte sich, dann redete er seine chinesischen Worte, rein akustisch keine sehr schöne Sprache, den Deutschen entgegen, die darum bemüht waren, das situativ Angelieferte korrekt aufzunehmen und richtig zu beantworten. Holtrop wartete auf die Worte der Übersetzung, drehte sich nach der Übersetzerin um, deren Kopf er schräg hinter seinem suchte, aber da standen nur die Anwälte, daneben Magnussen. Da kam von hinten die Übersetzerin endlich dazu. Nach der Begrüßung hielt der Minister seine Rede. Sie handelte von der Eigenständigkeit und Besonderheit der chinesischen Kultur, deren Unabhängigkeit vom Westen, auf deren Basis die jetzt für den Fernsehsender Star TV vereinbarte Zusammenarbeit von Chinesen und Deutschen vom ganzen chinesischen Volke begrüßt werde. Star TV sei für China der Stern am Himmel einer neuen Kultur der Freiheit für alle, die in Verantwortung für die traditionellen chinesischen Werte der Kollektivität von allen Chinesen gelebt werde. Und während die Rede des Ministers, ohne Emotion vorgetragen, durch die bücherlose Bibliothek des Grand Hyatt Hongkong ging, nur an einer Wand war ein Regal mit Buchattrappen, dachte Holtrop an die Fakten, geschäftlich, juristisch, immerhin war Star TV das derzeit am schnellsten wachsende Kommunikationsunternehmen der Welt, die Erlöse aus Werbung legten jährlich um bis zu vierzig Prozent zu, China war der Markt der Zukunft, demgegenüber war die eventuell überhöhte Kaufsumme, die Holtrop zugesagt hatte,kaum mehr der Rede wert. Außerdem war der Vorvertrag wegen bestimmter Sonderklauseln, in denen das Spezialrecht der britischen Kronkolonie noch nachwirkte, was die chinesischen Anwälte offenbar gar nicht interessierte, nach internationalem Recht sowieso nichtig. Kurze Stille, der Minister hatte aufgehört zu reden, Holtrop war dran. Fünf Sätze genügten: freue mich, gute Zusammenarbeit, Zukunft, los gehts. Die Kürze der Rede war für die Chinesen eine Unhöflichkeit, das wusste Holtrop nicht, es wäre ihm auch egal gewesen. Endlich

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