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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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wurden die Mappen mit den Vorverträgen gebracht. Die Delegationen gingen zum Schreibtisch, Holtrop und der Minister setzten sich hin, dann wurden die Urkunden abgezeichnet und ausgetauscht. Eine Fotographin der staatlichen Presseagentur machte einige Fotos. Die Kellner kamen herein und servierten den Champagner auf ihren lackierten Tabletts. Holtrop nippte, »sehr schön, danke!« sagte er zum Chinesenchef, der lächelte und sagte auch etwas. »Auf gute Zusammenarbeit!« übersetzte die Dolmetscherin von hinten.
    »Verstehen heißt Erschrecken«, erklärte Magnussen beim Rausgehen und zeigte auf die bunt bemalte Gottheit, die in der Lobby des Hotels von einem Podest aus das internationale Kommen und Gehen der Hotelgäste überwachte. »Wieso?« sagte Holtrop und ging am grob grimassierenden Gott des Verstehens vorbei zum Empfangstresen, um sich die Schlüssel zu seinen Zimmern geben zu lassen. Magnussen redete weiter, jetzt über Details des chinesischen Aberglaubens, den Holtrop überhaupt nicht interessant fand. »Wissen ist Blödheit«, sagte Holtrop zu Magnussen, der kaum reagierte und weiterredete, während die Schlüsselübergabeprozedur durch die Hotelangestellten abgewickelt wurde. Schließlich nahm Holtrop seinen Schlüssel entgegen, winkte Magnussen damit zu und sagte: »Ich bin etwas müde.« »Natürlich«, antwortete Magnussen, und wie sich ihre Blicke trafen, dachte Holtrop: »Die Dinge werden klarer, aber selten schöner und fast nie wahrer.«

XII
    Thewes Beerdigung war für Dienstag, den 19 . Februar, angesetzt, ein wenig angenehmer Pflichttermin für Holtrop. Seit seiner Rückkehr aus Asien vor einer Woche hatte er permanent neue schlechte Nachrichten aus allen Regionen und Filiationen seines Asspergschen Firmenreichs entgegennehmen und abarbeiten müssen, abends war er an keinem Tag vor elf Uhr aus dem Büro gekommen. Dramatisch hatte sich die Finanzlage Asspergs zugespitzt, die Erlöse waren in den ersten Wochen des neuen Jahres eingebrochen, das Geld wurde knapp. Das war kein Wahn von Ahlers mehr, plötzlich war das Finanzloch für Holtrop ganz direktes Faktum: die den Chinesen im Vorvertrag zugesagte Zahlung einer ersten Rate von fünfzig Millionen Dollar konnte Assperg termingerecht nicht leisten. Das kreative Kreditgeschäft mit Binz, das Ahlers auf Anregung der Herstattbank ursprünglich so konzeptioniert hatte, dass es im Effekt fünfhundert Millionen Euro schnelles Chipgeld zur Vermehrung an der Börse ergeben würde, war zu bejahen gewesen damals, im vorletzten Sommer, aber die extrem riskant eingesetzten Gelder waren durch die Auswirkungen des Elften September auf die Konjunktur, die niemand vorhersehen hatte können, zusätzlich auch durch technische Effekte an der Börse, deren Logik Ahlers besonders gern darlegte, immer weiter abgeschmolzen, die über Consors frei angelegten Gelder waren in verschiedene, auf jeden Fall falsche Richtungen hin abgeflossen, der Rest drohte endgültig irgendwo zu versickern,schlecht. Jetzt war der Streit mit Binz auch noch eskaliert, die Deutsche Bank war nicht bereit, Assperg in der Sache zu helfen, und Gosch verfolgte im Krieg gegen Binz eigene Interessen. All das war so weit noch normal. Nur die Ballung war schlecht. Und die Stimmung im Vorstand und beim alten Assperg war noch schlechter.
    Der Befreiungsschlag, den Holtrop plante, würde in den USA zu führen sein. Für Mittwoch und Donnerstag hatte Holtrop eine Serie von Gesprächen mit seinen New Yorker Statthaltern angesetzt, vorallem die Venturecapitalgruppe sollte sofort Gelder liefern, von AVC -Chef Schindt hatte Holtrop in einer Telefonkonferenz am Sonntag nocheinmal gefordert: »Sie müssen jetzt liefern!«, und daran, dass ebendies geschehen würde, dass Schindt, weil Schindt andernfalls Geschichte wäre, jetzt liefern würde, genügend Projekte hatte er angeblich in der sogenannten Pipeline, hatte Holtrop keinen Zweifel. Aber auch diese Zweifellosigkeit war Illusion. Niemand wollte im Moment kaufen, schon gar nicht Anteile an Risikofirmen. Schindt war außerdem gar kein Verkäufer, Schindt war Großmaul, Terrier, bissiger Hund, der mit dem Neuen Markt hochgeschossen war wie so viele, von denen inzwischen schon kein Mensch mehr sprach oder auch nur wusste, dass es sie je gegeben hatte. »Aber gut«, dachte Holtrop und schaute aus dem Fenster und wartete auf das Glück, das ihm nach eigenem Verständnis als Glückskind quasi zustand, zumindest phasenweise oder in besonders kritischen

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