Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
Vom Netzwerk:
im Süden Deutschlands geht so etwas, finden Sie nicht?« Dabei sprach er gleichzeitig den alten Assperg, aber vorallem auch die junge Schauspielerin an.
    Da verstummte die Musik. In der Ecke neben der Bühne stand das Ensemble der Musiker bewegungslos da. Die Gespräche im Saal wurden leiser, André Heller betrat in der Paradeuniform eines echten oder ausgedachten Rokoko die Bühne und sagte, nachdem es im Saal zuletzt ganz ruhig geworden war, einige begrüßende und organisatorische Worte zum Ablauf des Abends. »Nie war es herrlicher zu leben!« rief Heller dann aus, »rufen wir unserem verehrten Lord Weyenfeldt zu, auf einen herrlichen Abend Ihnen und uns allen!« Das Licht um Heller erlosch, Heller trat einen Schritt zurück, der Vorhang fiel, und die Musik fing wieder an zu spielen. Die älteren Herrschaften gingen zu ihren Plätzen und setzten sich. Augstein und Old Assperg übergaben die Schauspielerin an Holtrop, der dazugekommen war, und sie wendete sich Holtrop zu, um ihn zu begrüßen.
    Noch während der Begrüßung jedoch fühlte Siri Reza hinter sich eine Bewegung im Saal, unhöflicherweise drehte sie sich tatsächlich um und sah eine Welle der Aufmerksamkeit hochspringen und durch die Leute im Saal hindurch richtung Eingangstüre eilen, von dort zurückgeworfen werden und wieder dorthin zurückschwingen, und inmitten dieser sich jetzt langsam in den Saal hineinschiebenden Bewegung erkannte Siri Reza den BundeskanzlerSchröder. »Schröder!« rief sie wie gepiekst zu Holtrop hin. Und der sagte nur: »Das stimmt.«

XVIII
    Holtrop machte eine Drehung zur Seite. Er ging dabei auch etwas zurück, um es der Schauspielerin so zu ermöglichen, dem sie von der Mitte ihres Körpers her jetzt imperativ dominierenden Drang stattzugeben, sich minimal und kaum, aber eben doch ein bisschen in richtung dieses Schrödertsunamis um Schröder herum, damit also auch in richtung von Schröder selbst bewegen zu können. Da fiel Holtrops Blick auf den schräg vor ihm sitzenden alten Assperg, den er vorhin nur begrüßt hatte. Er wollte gerade hingehen, sah aber, wie der alte Assperg selbst gebannt seine eigene Frau dabei beobachtete, wie sie neben Trude Gosch stand und von Schröder in diesem Augenblick begrüßt wurde. »Kate!« rief Schröder, »Trude!« Dabei breitete er beide Arme weit aus und ging jungshaft grinsend auf die klapprig dürren Ladies zu. Schröder war auch nicht größer als der stumpenhafte Gustl Schwaake, aber durch das Amt des Bundeskanzlers wirkte er viermal so voluminös rein körperlich und von der Ausstrahlung her etwa vierzigmal attraktiver. Kate und Trude, die beiden 60 -, 70 -jährigen kleinen Mädchen, erglühten innerlich vor Freude. Sie bewegten sich nicht. Schröder ging auf sie zu. Es war ein äußerlich kaum sichtbares Beben, von der gewaltigen Masse Mann als extrem starkem Magnet ausgelöst, das in den starr da festgenagelten Frauen, während Schröder auf sie zuging, zitterte. Weil der alte Assperg aus eigener Erfahrung diese Wirkung des mächtigen Mannes auf die Frauen kannte, sah er auch, wie stark gebannt vonSchröders schwungvoll ausgelebtem Charme seine eigene Frau, Kate Assperg, reagierte, dass sie tatsächlich davon im Innersten geschockt war auf das Genüsslichste. Ohne seinen Blick von der Szene abzuwenden, neigte er seinen Kopf etwas nach hinten, in richtung des seitlich hinter ihm stehenden Riethuys, und machte über die von ihm hier zwischen Schröder und seiner Frau beobachtete Szene eine offenbar stark boshafte Bemerkung von männerkumpanenhafter Niedrigkeit, dann drehte er sich zu Riethuys um, um festzustellen, wie Riethuys die eindeutig unzulässig distanzlose Anzüglichkeit der Bemerkung aufgenommen hatte, neigte sich dabei von ihm weg und registrierte voll Verachtung, dass Riethuys, so erpresst, unfroh meckernd auf theaterhafte Weise lachte.
    Holtrop ging hin, verbeugte sich vor dem alten Assperg und begrüßte seinen eigenen Bürochef Riethuys. »Schön, dass Sie doch auch mitgekommen sind«, sagte Holtrop fast wahrheitsgemäß zu Riethuys, weil er das schlechter aussprechliche Gegenteil dachte. Riethuys wies auf den alten Assperg und sagte: »Auf ausdrücklichen Wunsch des Chefs.« Assperg bestätigte die Aussage. »Wo sitzen Sie?« fragte Assperg in Holtrops Richtung, dabei schaute er aber an Holtrop vorbei wieder auf die Schröderszene, wo Schröder von den beiden Ladies gerade weg- und weiterwalzte. Holtrop wartete, bis der alte Assperg, erstaunt davon, dass ihm

Weitere Kostenlose Bücher