Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
noch viel größere von GELD . Weil Holtrop diesen Unterschied zwischen sich und den Arbeitern absichtlich zu verwischen versuchte, trat er umso deutlicher hervor, noch mehr, als er ihn jetzt direkt ansprach. Ja, es sei richtig, auch Assperg habe im vergangenen Jahr Anpassungen vornehmen müssen, die genaueren Details der mit dem Betriebsrat und den Gewerkschaften ausgehandelten Vereinbarungen habe er jetzt natürlich nicht bis auf den letzten Pfennig und Cent im Kopf präsent, aber sollte das etwa gleich heißen müssen, dass man sich auch in einer Werkshalle von Assperg neuerdings nur noch unter den Vorzeichen von Klassenkampf und Vulgärökonomie begegnen könne? »Das kann es ja wohl nicht sein!« rief Holtrop zumSchluss, oder besser umgekehrt, das werde doch dem Für und Wider eines Miteinander, dem sich alle hier mit aller Kraft, und er selber ganz besonders, »dessen seien Sie versichert!«, mit seinem ganzen HERZ verschrieben habe, keinen Abbruch tun, im Gegenteil, rief Holtrop aus, »im Gegenteil!«
Die Arbeiter applaudierten, Holtrop strahlte, die Kameras klickten. Holtrop drehte sich um zu Katte, auch die Delegation von Führungskräften hinter Holtrop applaudierte, und Holtrop sagte in diese Chefrunde hinein und lachte: »Mehr Kapitalismus wagen! Was?« Da lachten alle und freuten sich. Dann zog die Delegation weiter in die Lagerhalle für Papier. Die Arbeiter blieben stehen und schauten den Managern und Nichtstuern mit Spott und Verachtung hinterher, was die Scham, die sie sofort über ihren eigenen Reflexapplaus auf Holtrops Schwachsinnsrede hin empfanden, ganz gut ausgleichen, abdämpfen und herunterdrücken konnte, bis, Verachtung gegen Scham im Nullausgleich verglichen, der Spott übrigblieb als relativ angenehmes Normalgefühl. Die Gruppe zerstreute sich. Jeder ging an seinen Arbeitsplatz zurück. Und jeder hatte eine zum Weitererzählen ganz gut geeignete Geschichte von ganz normalem Chefschwachsinn im Kopf und konnte deshalb, so bereichert, sagen: »Danke, Chef!«
XX
Um zehn Uhr abends war Holtrop mit Mack verabredet. Mack sollte zu Holtrop nach Hause kommen. Als Holtrop um kurz vor zehn mit schnellen Schritten aus der Hauptverwaltung auf sein Auto zulief, sah er, dass Ersatzfahrer Zuber ihm entgegenkam, Terek hatte an diesem Abendfrei. »Gar nichts dabei heute?« fragte Zuber, »nein«, sagte Holtrop, »aber es eilt.« »Natürlich«, antwortete Zuber und setzte seinen schweren Körper konzentriert und langsam auf den Fahrersitz, dann drehte er sich um und schaute Holtrop freundlich an. »Nach Hause?« fragte er, »na klar!« rief Holtrop, »fahren Sie schon los!« Zuber drehte den Kopf nach vorn, nickte, startete den Motor und fuhr los. Holtrop rief zuhause an und annoncierte eine kleine Verspätung. Der Weg war ja nicht weit, aber in der pervers korrekten Fahrweise von Zuber dauerte er doppelt so lange wie sonst. Stadtautobahn Schönhausen Süd, Taubacher Kreuz, Ortsteil Prieche, »dort am Bahnübergang«, sagte Holtrop nach vorn, »können Sie links die Abkürzung nehmen!« »Ist leider verboten«, sagte Zuber und fuhr einfach weiter. Langsam rollte der Wagen mit Tempo dreißig, wie hier vorgeschrieben, die Priecher Hauptdorfstraße entlang. Das Beste an Prieche und ganz Schönhausen war der kleine Flughafen von Taubach, der es einem möglich machte, in wenigen Minuten per Hubschrauber von hier fortzukommen und via Düsseldorf, Paderborn oder Hannover überall auf der Welt hin, raus aus dem Loch Schönhausen, das den Stumpfsinn des Hochsauerlands mit der Sturheit von Flachmünsterland selbstbewusst zu der üblichen Bodenständigkeitsverblödetheit kreuzte, wie sie sonst in Deutschland West nur noch in der sogenannten Wetterau Faktum war und gepflegt wurde, bloß dass man aus den Löchern der Wetterau trotz der Nähe zu Frankfurt und Hanau noch schlechter wegkam als von hier usw. »Da!« rief Holtrop, »hier!« Zuber hielt den Wagen an der bezeichneten Stelle an, Holtrop bedankte sich, verabschiedete sich und wollte gerade im Schwung aussteigen, rammte aber statt dessen nur mit seiner Schulter die Türe, die irrerweise, obwohl Holtrop den Öffnungshebel ergriffen und zu sich hergezogen hatte, nicht aufgegangen, sondern verschlossen geblieben war. »Was!« rief Holtrop und lachte auf. Zuber drehte sich um und entschuldigte sich, er könne nichts dafür, es sei Vorschrift, er müsse ganz vor und durch das Haupttor fahren. »Unsinn!« sagte Holtrop, »ich steige jeden Tag hier aus, weil es für
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