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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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Festbeleuchtung. Der Wiener Lichtkünstler André Heller hatte im Auftrag der Trude-Gosch-Kulturfonds-Stiftung die künstlerische Gesamtverantwortung für den glanzvollen Rahmen des Abends übernommen. Ein sehr roter Teppich führte von der Auffahrt zu den Stufen des Tempels, der für den soeben in neoklassizistischem Stil neu errichteten Hotelanbau als Eingangshalle fungierte. Livrierte Diener empfingen die Gäste. An riesigen Vasen mit weißen und gelben Lilien vorbei wogte in rotweißer Robe die Schauspielerin Siri Reza am Arm ihres stumpenhaft kleingewachsenen Mannes, des Oldenburger Boulevardverlegers Schwaake, mit erhobener Brust und schwingenden Schritten durch die Vorhalle. Heller hatte ZWERGE engagiert, die in der Vorhalle den Gästen mit Federfächern den Duft der Lilien zuwedelten und dabei im Takt der jubilierenden Barockmusik, die aus dem Inneren des Festsaals herausklang, um die Gäste herumsprangen. Es gab keine Presse an diesem Abend, nur ein Hausfotograph, der Smoking trug wie alle, machte aufs dezenteste seine Bilder von den Leuten. Die Schauspielerin in Siri Reza reagierte sofort auf die Linse, die sie im Augenwinkel sah, entwand sich dem Arm ihres Mannes und stellte sich für die Sekunde der Aufnahme in Positur.
    Schwaake stand stehengelassen daneben und nickte vor sich hin. Von hinten trat der etwa doppelt so hoch gewachsene neue Goschchef Messmer an Schwaake heran, neigte sich tief zu Schwaake hinunter und tippte ihm auf die Schulter, während er gleichzeitig sagte: »Freue mich sehr, gerade Sie als erstes hier zu sehen.« »Freude ist ganz auf meiner Seite«, sagte Schwaake grimmig und streckte seine Hand nach oben aus, um die ihm von Messmer entgegengehaltene Hand zur Begrüßung zu ergreifen. Eigentlich hatte Schwaake bei solchen Boulevardveranstaltungen automatisch Hausrecht, aber dieser Abend heute gehörte ganz den Herrschaften von Gosch. Schwaake nickte in den Boden hinein und brummte ein unhörbares, aber an Messmer gerichtetes Kompliment vor sich hin, dem man nur das Wort Blumen in anerkennendem Ton entnehmen konnte. Es fiel Schwaake schwer, direkt körperlich vorgeführt zu bekommen, dass er nicht mehr der kleine, freche GustlSchwaake, der jüngste und frechste in jeder Gesellschaft war, sondern der alte dicke Stumpenschwaake, dessen Verlag als Fachverlag für Frauen, Schund und Klatsch mit den entsprechenden Zeitschriften zwar ganz ordentlich stabil dastand und sogar in der jetzigen Krise noch Geld verdiente, aber die höheren Weihen der Seriosität, von denen Schwaake einst als junger wilder Kunststudent geträumt hatte, in seiner Lebenszeit sicher nicht mehr verliehen bekommen würde. Auch die simple körperliche Größe dieses unerfahrenen, bisher durch nichts als verlegerische Pleiten ausgewiesenen, umso unwiderstehlicheren Schnösels, als der dieser Messmer vor Schwaake verboten jovial dastand und freundlich zu ihm hinunterschaute, würde der egal wie reiche Stumpenschwaake in diesem Leben nicht mehr erreichen. So schaute es aus, objektiv. Und nicht einmal mit dem Imperium, über das Messmer als Chef des Hauses Gosch jetzt zu gebieten hatte, würde Schwaake mit seinem viel kleineren Reich je konkurrieren können. Die Schauspielerin, wenigstens sie etwa doppelt so jung wie Schwaake selbst alt, redete während des nickenden Nichtgesprächs zwischen Schwaake und Messmer freundlich und fröhlich mit der jungen schönen, im Jargon der Schwaakeblätter so genannten Gattin von Groß-, Neu- und Charmechef Messmer. Dass der Typ auch noch so unfassbar charmant war, war der Gipfel. Brüsk drehte sich Schwaake zu seiner Frau hin, packte sie am Arm und schleppte sie mit sich fort, nach drinnen in den Saal.
    Der Saal war von den überall aufgestellten Kerzen in ein zeitentrücktes, zauberisches Festlichkeitslicht gesetzt. Die Schauspielerin hatte ihren Platz am Ehrentisch der Verlegerin Trude Gosch, gegenüber von Lord Weyenfeldt, auf dem Platz neben ihr saß der alte Assperg. Assperg stand auf und ging auf die Schauspielerin zu, ergriff ihre Hand und deutete, indem er sich ihr entgegenneigte, einen Handkuss an, den sie mit einem Lächeln akzeptierte. »Eine großartige Kulisse!« sagte die Schauspielerin geübt sprühend und zeigte auf die Kerzen. »Es sind wohl echte Kerzen, habe ich gehört«, antwortete der alte Assperg. Zu den beiden kam der alte Augstein dazu, gebückt, zittrig, Spott im Blick. Er sagte: »In Versailles würde man uns für einen solchen Retrokitsch verlachen. Aber hier

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