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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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nicht sofort geantwortet wurde, zu Holtrop hinschaute. Um Holtrop direkt ins Gesicht zu schauen, war der alte Assperg zu gestört. Unsicherheit, schlechtes Benehmen, das nie von irgendjemandem korrigiert wurde, die Egomanie des lebenslangen Chefseins und die Knorrigkeit des hohen Alters waren mit der Macht des extrem Mächtigen im achtzigjährigen Assperg, der sich außerdem auch noch für den Philosophenkönig unter den großen Wirtschaftsführern der Nachkriegsbundesrepublik hielt,weil er ein paar Banalitäten der Menschenführung schriftlich zu einer völlig unphilosophischen Firmenphilosophie zusammengenagelt hatte, eine scheußliche Mischung eingegangen. Holtrop wusste das schon lange, aber er hatte es noch nie so unbeschönigt und so explizit gedanklich vor sich gehabt wie in diesem Augenblick in Karlsruhe. »Dort drüben«, antwortete Holtrop auf Asspergs Frage. »So, so«, sagte Assperg und fing unvermittelt zu schimpfen an. Er hatte schlechte Laune. Er machte sich nicht die Mühe, sein Geschimpfe situativ oder gesprächsweise mit der vorherigen Situation und dem zuvor Gesprochenen zu verbinden. Er schimpfte einfach los, weil ihm gerade so war, und hatte nichts dagegen, im Gegenteil, die von ihm bezahlten Asspergknechte Holtrop und Riethuys mit der Willkür seines Geschimpfes zu erniedrigen. Er schimpfte auf die von ihm so genannten BLENDER und Visionäre, die heute den großen Erfolg überall hätten, in den Firmen und Banken, genauso wie in der Politik. In Architektur und Kunst, sogar in der Philosophie, im Journalismus sowieso, verheerenderweise aber neuerdings eben auch in der Wirtschaft hätten die Blender überall die größte Wirkung und den größten Erfolg. Dieser Erfolg sei unverdient und werde in sich zusammenbrechen, wenn die wirtschaftlich anderen Zeiten, wie das jetzt schon sichtbar werde, und die große Krise erst einmal wirklich ganz angekommen sein würden usw. Die Beschimpfung der immer wieder so genannten Blender und VISIONÄRE kulminierte in dem altmodischen Wort Schönwetterkapitän, ebenfalls mehrfach von Assperg wiederholt. Eindeutig zielte die Beschimpfung, die vom Wirkungstsunami Schröder ihren Ausgangspunkt genommen hatte, vorallem auf Holtrop, der seit Jahren überall als Visionär gefeiert worden war.
    Kate Assperg kam dazu. Sofort hörte ihr Mann zu schimpfen auf. Trotzdem tadelte sie ihn, dass er sich zu sehraufgeregt habe, das dürfe er nicht, denn das sei schlecht für seine Gesundheit. In hartem Ton und kalt sprach sie mit ihrem Mann, denn es musste schon lange vor niemandem mehr verheimlicht werden, wie sehr sie ihn verachtete. Er wendete sich ab, duckte sich weg, und Kate Assperg schickte dem da unten erbärmlich Weggeduckten einen abschließenden Abscheugiftpfeil hinterher, dann schaute sie hoch und ließ ihren Blick triumphierend über die Runde der Umstehenden gehen. Freundlich säuselnd begrüßte sie Riethuys, verlogen säuselnd Holtrop. Und auch hier wurde die Botschaft von ihr überklar mitgeteilt, die sagte: Holtrop, das wird nichts mehr. Kate Assperg ging zur anderen Seite des Tischs, wo Messmer aufstand, um sie zu begrüßen und ihr den Stuhl, auf den sie sich setzen wollte, in der Manier des geübten Kavaliers etwas vom Tisch abzurücken und bereitzustellen. Dann wartete er, bis sie sich gesetzt hatte, setzte sich selbst auch hin und neigte ihr seinen Kopf, sie ihm den ihren zu, um der Unterhaltung durch diese professionelle gestische Bekundung höflichen gegenseitigen Interesses sofort den erwünschten Aufschwung zu geben.

XIX
    Acht Tage später stand Holtrop endlich, »Schönhausenoffensive Eins, die Erste!«, in der Haupthalle der großen Druckerei, von Arbeitern umringt, und Technikchef Katte erklärte die schallgedämpfe Riesendruckmaschine, an deren Kopfende die Delegation des Vorstandsvorsitzenden Holtrop sich versammelt hatte. An der Konstruktion der neuen Maschine hatten auch Ingenieure aus Asspergs Entwicklungsabteilung mitgearbeitet. Sie standen seitlich hinter Katte und schauten ihm beim Reden zu. Die Leistungder Druckmaschine bezeichnete Katte als sensationell, er nannte die entsprechenden Kennziffern für Geschwindigkeit des Drucks, das Papierformat, die Druckqualität und den Schallschutz, und Holtrop nickte und hatte keine Mühe, sich der Begeisterung seiner Leute zugeschaltet zu wissen.
    Genau so hatte er sich seine Offensive in die Firma hinein vorgestellt. Nur wusste er seit dem Abend in Karlsruhe auch, dass diese Offensive nicht reichen

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