Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
mich kürzer ist.« Dabei dachte er an den cholerischen Politbeamten Steiner, der sich in einem Bundeswehrflugzeug seine ganze Karriere aus einer Champagnerlaune heraus mit den Worten »Kaviar« und »Arschloch« kaputtgebrüllt hatte, und beherrschte sich. »Fahren Sie vor, los«, befahl Holtrop. »Danke«, sagte Zuber und fuhr Holtrop die restlichen dreihundert Meter zur stahltorgesicherten Haupteinfahrt von dessen Anwesen. Der vor dem Tor parkende Wagen gehörte dem Freund von Holtrops ältester Tochter, Tochter und Freund saßen im Auto und redeten miteinander, Holtrop winkte, die beiden winkten zurück, dann war das Tor zur Seite gerollt, und auf der leicht geschwungenen Privatstraße steuerte Zuber Holtrops schweren Wagen im Schrittempo der hinteren Hauptvilla entgegen. Zwischen hohen alten Bäumen ging es hindurch, an Büschen und Sträuchern vorbei, düster umlagerte der noch nicht hergerichtete wilde Park den Weiher in der Bachsenke rechts und die locker um das Haupthaus herum gruppierten kleineren Bauten. Holtrop wusste, dass das Anwesen Geschichte hatte, Beitz, Krull, Beck, eine der Ruhrbaronfamilien hatte sich um das einstige Rittergut Prieche herum hier einen Landsitz errichtet, alles war immer schon alt gewesen und immerzu irgendwie erneuert und erweitert worden, »Genaueres demnächst«, hatte Holtrop all die Jahre gedacht, seit er, kurz nach dem Jobangebot bei der Assperg AG , vom alten Assperg vermittelt, die Immobilie günstig angeboten bekommen und in einem Anfall von Übermut, »ihr mögt mich alle für verrückt erklären!«, nicht nur das eine Haupthaus mit Vorgarten, sondern die gesamte, viel zu große Liegenschaftzu dem objektiv zumindest realistischen, insofern das Investment rechtfertigenden Preis von 8,5 Millionen Mark gekauft hatte, Mitte der 80 er Jahre, er selbst war damals gerade erst Anfang dreißig, auch als demonstratives Commitment gedacht an Assperg und Schönhausen, wo er die nächsten dreißig Jahre seines Berufslebens zu verbringen plante. Aber dann war er erst nach Berlin geschickt worden, später als Strategievorstand mehr in den USA unterwegs als in Schönhausen gewesen und die letzten vier Jahre sowieso fast nie daheim. Die Familie hatte hier gelebt. Ohne dass Holtrop selbst viel davon mitbekommen hatte, waren die Kinder herangewachsen, und seine Frau war dabei, wie nennt man das?, immer schöner geworden, die Ordnung hatte Risse und Kratzer, natürlich, aber nichts was irreversibel desaströs oder außerhalb aller Denkbarkeiten gewesen wäre. Der Wagen rollte um die letzte Kurve aus dem Park heraus, hier vor dem Haus war der Rasen gepflegt, der Gartenarchitekt Heidler hatte die etwa achttausend Quadratmeter in direkter Umgebung des Hauses in jede Richtung hin anders, aber als insgesamt großartig offenes Bühnenbild gestaltet, es gab Weite und Strenge, verspielte Stellen und Ecken, Orte der Ruhe und hysterisch aufsprudelnder Lebensfreude.
»Schön haben Sie es hier!«, sagte der Mann mit den geschneckelten Haaren, »Mack mein Name, freue mich, dass wir uns endlich treffen!« Dabei ging er mit energischen Schritten aus der Mitte von Holtrops Wohnzimmer auf den zur Türe hereintretenden Holtrop zu, als wäre er, Mack, hier der Hausherr, nicht Holtrop selbst. Das war zum ersten Einstand schon nicht unverrückt. Die Anmaßung gefiel Holtrop. Man hatte ihn vor Mack gewarnt. Die unterschiedlichsten Leute hatten ihm Mack empfohlen als genau den Richtigen für Holtrops ambitionierte Pläne, sein sprunghaft angewachsenes Privatvermögen ähnlicherfolgreich zu vermehren wie den Wert der von ihm geführten Assperg AG , aber zugleich hatte jeder die Empfehlung mit dem Hinweis auf die hemdsärmelig grobe Art von Mack verbunden, der nicht so ganz das Bild des normalen Hochfinanzspezialisten verkörpere. »Gut«, dachte Holtrop, »stimmt vielleicht, gefällt mir aber gut«, und ging seinerseits freudig auf den ihm entgegenkommenden Mack zu und ergriff dessen vorgestreckte Hand. Ein Handschlag unter Männern, es zuckte, brizzelte, die Kraft von Kräftigen schoss aufeinander zu und vereinte sich kurz im Zugriff der sich gegenseitig heftig schüttelnden Hände. »Bin leider etwas zu spät«, sagte Holtrop, dann erzählte er die Geschichte vom Ersatzfahrer Zuber, der ihn nicht nur in Zeitlupe hergefahren, sondern dann auch noch direkt vor dem Haus nicht aus dem Auto herausgelassen hätte, völlig irrerweise. »Ja, die Fahrer!« rief Mack aus, »da brauchen Sie natürlich jemanden
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