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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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höher als sonst, erklärte Schuster, das sei durch die Krise bedingt, »die Leute haben Angst, sie feiern nicht so häufig krank«. Auch Technikvorstand Uhl, der zur Gruppe der Kollegen dazugetreten war, erklärte in ähnlichen Worten, dass in seinen Asspergsparten Bau, Transport, Maschinen zwar hohe Kosten durch das schlechte Wetter angefallen seien, diese jedoch durch verschiedene öffentliche Programme, den jüngsten Beschäftigungspakt von Rotgrün, auch durch steueraktiv positive Rückausschüttungen für die das entsprechende Wetter abdeckenden Versicherungsaufwendungen und Vorauszahlungen so auszugleichen gewesen seien, dass insgesamt im Resultat Gewinn erwirtschaftet worden wäre. »Wie es sich ja wohl gehört«, fügte er lachend an. Und so schaute die Bilanz aus, die übernächste Woche der Presse und danach der Hauptversammlung zu präsentieren sein würde: Zwei Sparten machten Gewinn, und zwar die von Uhl und Wenningrode. Und alle anderen Asspergsparten machten Verlust, erheblichen Verlust. Das Gesamtergebnis 2001 hielt sich mit Mühe und unter Einsatz aller Bilanzmathematik gerade noch im Positiven, insgesamt das schlechteste Konzernergebnis seit der Ölkrisenzeit in den 70 er Jahren. Aber noch schlimmer waren die Zahlen für das erste Quartal 2002 , die Holtrop in der vergangenen Woche, mit einer Gewinnwarnung verbunden, durchSchmäling der Öffentlichkeit mitzuteilen gehabt hatte. Er selbst war an diesem Tag für eine lange vorher geplante Rede in Washington gewesen. Seither prasselten die Beschimpfungsberichte auf Holtrop ein, im Tenor in bösartiger Weise gegen Holtrop persönlich gerichtet, in der Sache aber, was die Probleme bei Assperg betraf, erstaunlich nahe an der Realität. Tatsächlich musste man sich fragen, ob es für diese Berichte Informanten, undichte Stellen gab, durch die vertrauliche Informationen, die nur dem Vorstand und dem Aufsichtsrat bekannt waren, gezielt an die Öffentlichkeit gegeben wurden, und die Antwort auf diese Frage war eindeutig: ja. »Die Verräter sitzen also unter uns?« hatte Holtrop zu Schmäling gesagt, den er als Mann seines Vertrauens betrachtete, weil er ihn zu Assperg geholt hatte, »was kann man da machen?« »Schwierig«, hatte Schmäling geantwortet, aber immerhin eine vorsichtige Recherche gestartet.
    Daran dachte Holtrop, als er wieder neben Ahlers saß. Das ihm von Ahlers vorgelegte Papier, das vor Holtrop auf dem Tisch lag, war für ihn eventuell gefährlich. »Will Ahlers mich etwa bedrohen?« dachte Holtrop. »Hat Blaschke absprachewidrig problematische Gelder freigegeben?« Von der Seite schaute Ahlers traurig und überheblich auf Holtrop. Es war ihm unbegreiflich, dass Holtrop auch nach Jahren an der Asspergspitze für den betriebswirtschaftlichen Kernbereich FINANZEN einfach kein Interesse in sich entdecken konnte, dass er die intellektuelle Herausforderung dieses Bereichs überhaupt nicht erkannte. Für diese Dummheit verachtete Ahlers Holtrop, und Holtrop verachtete Ahlers für die Überheblichkeit, mit der er, real aus untergeordneter Position, auf Grund seines hochspezialisierten Fachwissens auf Holtrop herabsah. Außerdem war es die im Gesamtmenschen Ahlers konzentrierte und von ihm zur Schau getragene Vernünftigkeit, dieHoltrop fundamental ankotzte . Bezogen auf den vor ihm liegenden Zettel sagte Holtrop: »Wie verfahren wir?« »Das frage ich Sie!« antwortete Ahlers. »Ich weiß es nicht, was schlagen Sie vor?« Jetzt war es die von Ahlers’ Gesicht routiniert vorgezeigte Besorgnis, die es Holtrop unmöglich machte, dieses Gespräch weiterzuführen. »Ahlers abschaffen!« dachte Holtrop grell ergrimmt und eröffnete mit einem launigen Spruch, der das schlimme Aprilwetter mit den aktuellen Presseberichten über Asspergs desaströse Lage in Verbindung brachte, die Vorstandssitzung.

XXII
    Nach der Sitzung ging Holtrop sofort nach draußen, wo der Imbiss aufgebaut war. Neben dem Servierwagen stand eine junge Frau in weißer Bluse und langer schwarzer Schürze, sie schaute Holtrop freundlich an und gab ihm ein Glas Wasser. Dazu nahm er sich ein Brot, bunt geschmückt mit kleinen Würfeln von Tomate, Gurke, Käse, und biss hinein. Das Brot schmeckte abgestanden, nach faulem Wasser, das Wasser tot, es war auch nur lauwarm und sprudelte nicht. Es war ein sogenanntes stilles Wasser, frisch aus der Kloake Schönhausen geschöpft. Holtrop ging zur Seite, um den Platz beim Servierwagen für die Kollegen freizumachen. Die Kollegen kamen und

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