Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Treppenhauses beschleunigte sich Holtrops Schritt nach unten. »Und aber doch«, dachte er da, »so nicht!« Er würde nicht kampflos gehen, er würde seinen Platz verteidigen. Er hatte dieser Firma seine besten Jahre und alle Kraft gegeben, er hatte unbeschreibliche Summen von Geld durch seine Deals für Assperg verdient, es war absurd, mit einer wie aggressiv vorgetragenen Kleinlichkeit Brosse seit Wochen die vorgesehene Verlängerung von Holtrops Vertrag als CEO torpedierte. Es war noch nicht so lange her, dass diese Verlängerung auch vom Aufsichtsrat als reine Formalie angesehen worden war, von Holtrop natürlich sowieso. Geplant war damals, im vergangenen Herbst, ein Vertrag über nocheinmal fünf Jahre, dabei sollten die Bezüge und Boni um ein Drittel nach oben gehen, obergrenzenlos geregelt, denn Holtrop war vom hochbegabten Führungstalent in den vergangenen vier Jahren seiner Zeit an der Spitze der Assperg AG zum erfolgreichsten Manager von, kurz gesagt, ganz Jungdeutschland geworden. Phantasien richteten sich auf ihn von allen Seiten, Angebote kamen, jede Woche ein anderes, das war normal gewesen, bis Mitte letzten Jahres war Holtrops Marktwert, anders als der Wert der Asspergaktie, stetig, steil und immer noch weiter hochgegangen. Jetzt hatten sich die Bedingungen geändert, gesamtwirtschaftlich, persönlich, gut, aber die erbärmliche Hinhaltetaktik von Brosse war dadurch nicht gerechtfertigt, diese Ansicht hatte eben vorhin auch Holtrops Personalfachfrau Frau von Schroer geäußert. Real war es aber so, dass die mit der Vertragsausarbeitung beauftragten Anwaltskanzleien beider Seiten schon vor Monaten neue Verhandlungen aufgenommen hatten, alle drei Wochen ging ein neuer Schriftsatz, in Zeitlupe befördert, hin und her, zuletzt hatte auch noch der alte Assperg bei Holtrop direkt Gesprächsbedarf angemeldet und gesagt, wobei er Holtrop drohend die Hand auf die Schulter gelegt hatte: »Wir müssen den Vertrag besprechen!« Von seinen Anwälten hatte Holtrop erfahren, dass Brosse bei Gesamtbetriebsratschef Bartels gegen die Vertragsverlängerung Stimmung gemacht und im Aufsichtsrat überall schon Stimmen gesammelt habe, und der alte Assperg hatte Holtrop das Gespräch nur angekündigt, um es mehrfach kurz davor, Machtsadismus pur, immer wieder absagen zu können. Auch von dort her, wie von allen anderen Seiten, sollte Holtrop also offenbar kaputt gemacht, vielleicht auch schon endgültig abgeschossen werden.
Der Grundkonflikt mit Brosse und Bartels war zwar alt, er hatte aber, speziell im Fall von Brosse, mit Holtrop selbst gar nichts zu tun. Brosse hatte den Rollenwechsel vom Vorstandsvorsitzenden, der er vor Holtrop fünfzehn Jahre lang gewesen war, zum operativ selbst nicht mehr aktiv tätigen Aufsichtsratschef einfach nicht verkraftet. Dabei hatte Brosse Holtrop selbst zu Assperg geholt und als seinen Nachfolger aufgebaut. Aber im Alter von nur sechzig Jahren die Verantwortung plötzlich völlig abgeben zu müssen, nur weil es die vom alten Assperg verfügten Firmenstatuten genau so diktierten, war für einen noch so extrem vitalen Vollblutmanager der alten Schule, wie es Brosse war, eine letztlich unerträgliche und, wie sich herausgestellt hatte, mit der Zeit immer noch untragbarer gewordene Zumutung. Die ersten ein, zwei Jahre hatte Brosse seinen Nachfolger Holtrop von oben herab mit spöttisch aufmunternden Anfeuerungssprüchen begleitet, auf dem Hochpunkt von Holtrops Erfolgen den Kontaktzu Holtrop gemieden und in den letzten eineinhalb Jahren der sich immer weiter aufbauenden Krise hinter Holtrops Rücken überall, wo er konnte, gegen Holtrop Stimmung gemacht. Die wenigen persönlichen Begegnungen, zu denen es in letzter Zeit noch gekommen war, waren an Verlogenheit kaum zu überbieten, neulich hatte Holtrop Brosse in Karlsruhe getroffen, und der dabei zwischen beiden ausgetragene Wettbewerb ging nur noch darum, wer seine dröhnend verlogene Herzlichkeit lauter dröhnend und offener verlogen vorführen könnte. Diesen Verlogenheitswettbewerb hatte in Karlsruhe natürlich wieder einmal Brosse dröhnend klar für sich entscheiden können. Mit der wenig überraschenden Folge, dass in Holtrop der Schwur, sich an Brosse irgendwann bösartig zu rächen, weiter Nahrung bekommen hatte.
Im Hinuntergehen hatte sich Holtrop, ohne es selbst zu merken, zwei dieser kleinen weißen Tabletten aus der Tradondose herausoperiert und zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand transportiert, und wie er jetzt
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