John Grisham
pelziger Zunge und versuchte aufzustehen. Aber da war nicht mehr viel zu machen. Zwischen den Songs unterhielt sich Calvin mit zwei Männern an einem Nebentisch und erfuhr, dass die berühmte Tiffany donnerstags nicht arbeitete.
Als das Bier ausgetrunken war, sagte Aggie: »Ich geh jetzt. Kommt ihr mit?«
Roger konnte nicht mehr allein stehen, und so schleppten sie ihn mit vereinten Kräften in Richtung Ausgang. Da glitt Amber an ihnen vorbei und sagte zu Calvin: »Verlässt du mich schon?«
Er nickte stumm, weil er kein Wort herausbekam.
»Komm später wieder, ja?«, gurrte sie. »Ich find dich süß.«
Einer der Rausschmeißer packte Roger und half ihm nach draußen. »Wann macht ihr zu?«, erkundigte sich Calvin.
»Um drei«, sagte der Mann und deutete auf Roger. »Aber den braucht ihr nicht wieder mitzubringen. «
» Sag mal, wo ist d as Krankenhaus?«, fragte Aggie.
»Welches?«
Aggie sah Calvin an und Calvin Aggie, und es war klar, dass beide keinen blassen Schimmer hatten. Der Rausschmeißer wartete ungeduldig. »Es gibt zehn Krankenhäuser in dieser Stadt. Also, welches?«
»Ahm, das nächste«, stammelte Aggie.
»Das wird das lutherische sein. Kennt ihr euch in der Stadt aus?«
»Klar.«
»Na sicher. Ihr nehmt die Lamar bis zur Parkway, dann die Parkway bis zur Poplar. Es ist direkt hinter der East High School.«
»Danke.«
Der Rausschmeißer verscheuchte sie mit einer Handbewegung und ging wieder hinein. Sie schleppten Roger zum Wagen, stießen ihn hinein und irrten dann eine halbe Stunde lang am Rand der Innenstadt von Memphis herum, auf der hoffnungslosen Suche nach einem lutherischen Krankenhaus. »Bist du sicher, dass es das richtige Krankenhaus ist?«, fragte Calvin mehrmals.
Aggie fand jedes Mal eine andere Variante der Bekräftigung: ja, aber sicher, klar, na logisch.
Als sie sich plötzlich mitten im Zentrum wiederfanden, hielt Aggie neben einem Taxi und sprach den Fahrer an, der hinter dem Steuer schlief. »Hier gibt's kein lutherisches Krankenhaus«, erwiderte er. »Wir haben ein baptistisches, ein methodistisches, ein katholisches, ein Central, das Mercy und noch zwei andere, aber kein lutherisches.«
»Ich weiß, es gibt zehn in Memphis.«
»Sieben, um genau zu sein. Woher kommt ihr?«
»Mississippi. Welches ist denn von hier aus das nächste?«
»Das Mercy. Ist nur vier Straßen entfernt, in der Union Avenue. «
» Danke.«
Sie fanden das Mercy-Krankenhaus und gingen hinein, während der komatöse Roger im Wagen blieb. Die Klinik war eine Sammelstelle für Opfer nächtlicher Verbrechen, häuslicher Gewalt, von Schießereien mit der Polizei und Bandenkriegen, von Drogenmissbrauch und alkoholbedingten Verkehrsunfällen. Fast alle Patienten waren schwarz. Um die Notaufnahme herum schwirrten Krankenwagen und Polizeifahrzeuge. Grüppchen aufgeregter Familienangehöriger streiften suchend durch die gruftartigen Flure. Schreie und Rufe hallten durch das Gebäude, während Aggie und Calvin liefen und liefen, bis sie endlich den Informationsschalter fanden. Eine junge Mexikanerin saß dort, kaute Kaugummi und las in einer Zeitschrift.
»Sind hier auch Weiße zugelassen?«, erkundigte sich Aggie höflich.
Kühl antwortete sie: »Wen suchen Sie denn?«
»Wir sind zum Blutspenden hier.«
»Die Blutspendestelle ist am Ende des Flurs.« Sie deutete mit einem Finger in die entsprechende Richtung.
»Ist da noch offen?«
»Eher nicht. Für wen wollen Sie denn spenden?«
»Ahm, für Bailey.« Aggie schaute Calvin ratlos an.
»Vorname?« Mit dem Blick auf ihren Monitor begann sie, auf ihre Tastatur zu hacken.
Aggie und Calvin tauschten mit gefurchter Stirn einen Blick. »Ich dachte, Bailey wäre sein Vorname«, sagte Calvin.
»Und ich dachte, es wäre sein Nachname. Meistens wird er doch Buck genannt, oder?«
»Stimmt, aber seine Mama heißt mit Nachnamen Caldwell.«
»Wie oft war sie verheiratet?«
Das Mädchen verfolgte das Hin und Her mit offenem Mund.
Aggie sah sie an. »Gibt es hier jemand mit dem Nachnamen Bailey?«
Sie tippte, wartete und sagte dann: »Ein Mr. Jerome Bailey, Alter: achtundvierzig, schwarz, Schussverletzung.«
»Sonst noch jemand?«
»Nein.«
»Und jemand, der mit Vornamen Bailey heißt? «
» Wir registrieren nicht nach Vornamen. «
» Warum nicht?«
Die Schießerei war ein Gefecht zwischen zwei Banden, das eine Stunde zuvor in einer Siedlung im Norden der Stadt ausgebrochen war. Aus irgendeinem Grund hatte es sich auf den Parkplatz des
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