John Grisham
wurde.
Mack hatte nur selten das Gefühl, gebraucht zu werden. Natürlich brauchten seine Frau und seine Töchter ihn, wobei er sich oft fragte, ob sie nicht ohne ihn glücklicher gewesen wären. Aber die Stadt konnte ihre rechtlichen Bedürfnisse problemlos ohne ihn abdecken. Tatsächlich war er schon vor langer Zeit zu dem Schluss gekommen, dass es kaum auffallen würde, wenn er seinen Laden dichtmachte. Kein Mandant würde ohne Rechtsvertreter auskommen müssen. Die anderen Anwälte würden sich insgeheim ins Fäustchen lachen, weil sie einen Konkurrenten weniger hatten. Nach etwa einem Monat würde ihn auch im Gericht niemand mehr vermissen. Viele Jahre lang hatte ihn das traurig gestimmt. Besonders deprimierend waren jedoch weder Gegenwart noch Vergangenheit, sondern die Zukunft. Die Aussich t, eines Tages mit sechzig Jahren aufzuwachen und immer noch ins Büro zu trotten - bestimmt in dasselbe Büro -, um einvernehmliche Scheidungen und Kleinstinsolvenzen für Menschen abzuwickeln, die sich sein bescheidenes Honorar kaum leisten konnten, verdarb ihm jeden Tag aufs Neue die Laune. Es war eine Vorstellung, die Mack sehr unglücklich machte.
Er wollte da raus. Und zwar solange er noch jung war.
Auf dem Bürgersteig ging ein Anwalt namens Wilkins vorbei, ohne einen Blick auf Macks Fenster zu werfen. Wilkins war ein Vollidiot, der seine Kanzlei vier Häuser weiter hatte. Vor Jahren hatte Mack nach einem Spätnachmittagsdrink mit drei anderen Anwälten, von denen einer Wilkins war, den Mund zu voll genommen und Einzelheiten seines großartigen Plans preisgegeben, durch die Kettensägen-Geschichte ein reicher Mann zu werden. Leider wurde aus dem Plan nichts, und als Mack keinen der kompetenteren Prozessanwälte im Bundesstaat für seinen Plan gewinnen konnte, fingen die Akten an zu stinken.
»He, Mack, wie geht's der Kettensägen-Sammelklage?« oder »He, Mack, gibt's schon einen Vergleich im Kettensägen-Verfahren?«, fragte Wilkins, der Mistkerl, seitdem gern, wenn andere Anwälte zugegen waren. Im Laufe der Zeit hatte er die Sache jedoch vergessen.
He, Wilkins, alter Junge, was hältst du von diesem Vergleich? Eine halbe Million Dollar auf die Hand, zweihunderttausend davon für mich. Mindestens, wenn nicht mehr. He, Wilkins, du hast in den letzten fünf Jahren zusammen keine zweihunderttausend Dollar verdient.
Aber ihm war klar, dass Wilkins nie davon erfahren würde. Niemand würde je davon erfahren, und das war Mack sehr recht.
Bald würde Freda zurückkommen, mit lautem Getöse wie immer. Mack flitzte zu seinem Schreibtisch, rief die Nummer in New York an, fragte nach Marty Rosenberg und legte auf, als er dessen Sekretärin am Telefon hatte. Dann überprüfte er seine Termine für den Nachmittag, die so trostlos waren wie das Wetter. Eine neue Scheidung um 14.30 Uhr und eine, die bereits lief, um 16.30 Uhr. Er hatte eine Liste von fünfzehn Anrufen, die er erledigen musste, und darunter war nicht einer, auf den er sich gefreut hätte. Die vernachlässigten Fischakten auf dem Sideboard gammelten vor sich hin. Er schnappte sich seinen Mantel, ließ die Aktentasche stehen und schlich sich zur Hintertür hinaus.
Sein Auto war ein kleiner BMW mit mehr als hundertfünfzigtausend Kilometern auf dem Buckel. Der Leasingvertrag lief in fünf Monaten aus, und er hatte keine Ahnung, was er als Nächstes fahren sollte. Da Anwälte, selbst wenn sie noch so pleite waren, mit ihrem fahrbaren Untersatz Eindruck schinden mussten, hatte er sich in aller Stille umgesehen, ohne irgendwen einzuweihen. Seine Frau würde mit seiner Wahl sowieso nicht zufrieden sein, ganz gleich, wie sie ausfiel, und er fühlte sich dieser Diskussion nicht gewachsen.
Seine Lieblingsbierroute begann im Parker's Country Store, zwölf Kilometer südlich der Stadt in einem kleinen Ort, in dem ihn keiner kannte. Er kaufte sich einen Sixpack knallgrüne Flaschen, gutes Importbier zur Feier des Tages, und fuhr auf schmalen Nebenstraßen weiter nach Süden, bis sein Auto das einzige war. Dabei hörte er Jimmy Buffett, der vom Segeln und Rumtrinken und einem Leben sang, von dem Mack schon eine ganze Weile träumte. Im Sommer vor dem Jurastudium hatte er einen zweiwöchigen Tauchurlaub auf den Bahamas verbracht. Als seine Anwaltstätigkeit im Laufe der Jahre immer öder wurde und er immer weniger Trost in seiner Ehe fand, hörte er immer öfter Buffett. Er war wie geschaffen für das Leben auf einem Segelboot. Er war bereit.
An einem versteckten
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