John Lennon - across the universe - die spirituelle Biografie
er sich in seiner Haut fühlte, wie er ohne Boden unter den Füßen und inmitten allen Reichtums, all der Bewunderung und all des Personenkults zunehmend verzweifelter wurde.
Niemandem war das zu jener Zeit klar, nicht einmal Lennon selbst. Vordergründig gesehen hat er »Help!« lediglich deshalb geschrieben, weil sich von
Eight Arms to Hold You
, dem Arbeitstitel des zweiten Beatles-Films, kein Menschen angesprochen gefühlt hätte. Ein verzweifelndes Mitglied der Crew schlug unmittelbar vor Fertigstellung des Films den Titel
Help!
als Ausweichlösung vor. Als er den Song, der zunächst als langsames Stück konzipiert war, ins Studio mitbrachte, unternahm die Band den Versuch, ihn schneller zu spielen, und sie glaubten, so würde er einen ausgezeichneten Titelsong abgeben.
Für Beatles-Fans war dies einfach ein weiterer unbeschwerter, zum Tanzen animierender Hit. Die innere Zerrissenheit, das Gefühl von Unsicherheit und das Bedürfnis nach einem menschlichen Gegenüber, die darin zum Ausdruck kamen, sind ihnen – auch Lennon selbst – ebenso entgangen wie der unverhohlene Hilferuf (»Kannst du mir bitte, bitte helfen?«/»Won’t you please, please help me?«). Erst später, in einer Rückschau auf sein Leben, wurde ihm klar, dass der Text, der von tiefstem Seelenleid kündet, tatsächlich ein von Herzen kommender Hilferuf war.
Drei Monate später kam ihm, aus dem Unbewussten aufsteigend, »Nowhere Man« in den Sinn – Text und Musik gleichzeitig, ein fertiger Song. Und nicht lange danach würde er in einem Badezimmer auf die Knie fallen und Gott um ein Zeichen bitten.
Hörenswerte Songs zu diesem Kapitel:
Nowhere Man (
Rubber Soul
, 1965)
Help! (
Help!
, 1965)
Mother (
John Lennon/Plastic Ono Band
, 1970)
4
Gott
Lennon hat die düstere Erfahrung innerer Bedrängnis in einer Zeit gemacht, in der er, so paradox es auch scheinen mag, glanzvolle Erfolge feiern konnte. Bis er diese Phase, in der er die dunkle Nachtseite der Seele durchlebt hat, wirklich überwinden konnte, sollten allerdings noch weitere zehn Jahre vergehen. Was ihm zu schaffen machte, hatte Viktor E. Frankl bereits viele Jahre zuvor als »das Gefühl existenzieller Leere« beschrieben; als einen Zustand, in dem der Mensch sich »auf der Flucht vor einer inneren Öde und Leere« befindet. 68
Der Psychiater Viktor Frankl widmete, nachdem er Auschwitz überlebt hatte, sein Berufsleben der Frage nach dem Lebenssinn, dem »Willen zum Sinn«. In seinem Buch
Der Mensch auf der Suche nach Sinn
hat er das Dilemma des Menschen wie folgt charakterisiert: »Kaum weiß er, woher er kam – geschweige denn, wohin es geht. Und … je weniger er es weiß, je weniger er um den Sinn des Daseins und ein Ziel seines Weges weiß – um so mehr beschleunigt er das Tempo, mit dem er diesen Weg geht.« Frankl zufolge kann ein Mensch die innere Leere, das Sinnvakuum allein dadurch füllen, dass er in sich »das Gefühl erweckt,
für etwas da zu sein – für etwas oder für jemanden«
. 69 Die Antwort auf die Frage, vor die der Mensch sich gestellt sieht, fällt individuell unterschiedlich aus. Die ihm gemäße Antwort herauszufinden, sie zu entdecken, dieser Herausforderung kann der Einzelne nur auf die ihm eigene, persönliche Weise gerecht werden.
Gewiss geriet Lennon nicht zuletzt deshalb in diesen Abgrund der existenziellen Leere, weil er seine Eltern so viele Jahre lang hatte entbehren müssen. Darüber hinaus machte er seinem Schmerz vielfach handgreiflich Luft; und was vielen Kindern als etwas ganz Selbstverständliches gilt, Autorität und Tradition, lehnte er ganz und gar ab. Beide Verhaltensweisen trugen dazu bei, dass er in diesen Abgrund nur noch tiefer hineingeriet. Durch das Bestreben, eine vom Establishment nicht anerkannte Musikform zum persönlichen Lebensmittelpunkt zu machen, entschied er sich für einen ganz eigenen, nonkonformistischen Weg.
Da er über derart viel Talent und schöpferische Genialität verfügte, bei der Wahl der Bandmitglieder eine glückliche Hand bewies, äußerst zielstrebig war und das Geschick ihn begünstigte, brachte er es zu unglaublichem Erfolg. Während der Jahre in Liverpool ließ er sich nicht unterkriegen. In Hamburg lernte er, sich über die eigene Kreativität zu definieren. Später eroberte er London, dann Amerika und wurde schließlich zu einer kreativen Leitfigur der Popkultur.
Die Schwerkraft hatte er überwunden. Die einschränkende, auf ihm lastende Atmosphäre hatte er durchbrochen. Und er war in
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