John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
mitnehmen wollte: den zweiten Kaftan, ein Paar abgewetzte Schuhe, einen ausgeblichenen grünen Wollpullover, von dem schon Fäden weghingen, den Weltempfänger, den er vor einem Jahr in Akora Khatak gekauft hatte, und ein paar Ersatzbatterien. Dazu kamen noch die zwölftausend Rupien – etwa zweihundert
Dollar – die er gespart hatte. Viel mehr gab es nicht. Keine Fotos, keinen Fernsehapparat, keine Bücher, mit Ausnahme des Korans und einiger islamischer philosophischer Texte, die er noch vorsichtig in den Seesack steckte. Selbstverständlich hatte er auch Waffen. Um seine Kalaschnikow und die Makarow-Pistole unter dem Bett hervorzuziehen, legte er sich auf den Erdboden.
»Die kannst du hierlassen, Jalal«, sagte Bassim.
Wells konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal ohne Gewehr geschlafen hatte. Ihm würde es leichter fallen, die Kleidung zurückzulassen. »Das möchte ich lieber nicht.«
»Wo du jetzt hingehst, wirst du sie nicht brauchen.«
Wells entschied sich, nicht zu widersprechen. Ihm blieb auch keine andere Wahl. Immerhin hatte er noch sein Messer. Mit diesem beruhigenden Gedanken schob er die anderen Waffen wieder unter das Bett zurück.
»Der Dolch bleibt auch hier«, erklärte Bassim. »Das ist für uns alle sicherer.«
Wortlos hob Wells den Kaftan, löste die Bänder, mit denen er das Messer am Bein befestigt hatte, und warf es auf das Bett. Während er sich im Raum umsah, versuchte er, sich zu erinnern, was er vielleicht noch mitnehmen wollte. Er besaß weder einen Computer, noch eine Kamera, noch ein Mobiltelefon. Und sein heiß geliebtes Nachtsichtgerät war während des Bombenangriffs auf Tora Bora zu Bruch gegangen.
Aus dieser Schlacht hatte er sich einen Granatsplitter aufgehoben, der nur wenige Zentimeter über seinem Kopf in eine Wand eingedrungen war. Aber den wollte er lieber nicht mitnehmen. War sein Leben auf so wenig zusammengeschrumpft? Ja. Vermutlich fürchtete er sich aus diesem Grund nicht vor dem, was als Nächstes kommen würde.
Nachdem er den Reißverschluss des Seesacks geschlossen hatte, strich er nochmals der Katze über das dünne Fell. »Auf Wiedersehen, Hamra«. Ohne ihm einen Blick zuzuwerfen, machte sie einen Katzenbuckel, sprang vom Bett und lief aus der Hütte. So viel zur Intuition von Tieren, dachte Wells.
»War es das?«, erkundigte sich Bassim.
»Ja. Mein gutes Service habe ich in der anderen Hütte.« Als er Bassims verdutzten Blick sah, wünschte er, er hätte diesen Scherz nicht gemacht.
»Dein gutes Service?«
»Lasst uns gehen.«
Schihab öffnete für Wells die Beifahrertür und deutete ihm, sich zu setzen. »Schukran dschasilan«, sagte Wells. Vielen Dank. Wortlos schloss Schihab die Tür und stieg hinten ein.
Sobald Bassim auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte, fuhr er los. Wells fragte sich, ob man ihn wieder zu Bin Laden brächte – denn wenn dem so war, wendeten sie diesmal eine andere Taktik an.
Er hatte Osama schon zweimal getroffen, ohne dass sich ihm bei diesen Besuchen die Gelegenheit geboten hätte, sein Versprechen einzulösen und den obersten Anführer der Al-Quaida zu töten. Das erste Mal war, kurz bevor die USA im Irak einmarschiert waren. Damals hatte man Wells außerhalb von Akora Khatak aufgelesen, ihm die Augen verbunden und war mit ihm stundenlang in einem Auto über Schlaglöcher gerumpelt. Dann hatte man ihn auf einen Pferdewagen verfrachtet, der nochmals mehrere Stunden über einen Felspfad schaukelte. Am Ende dieser Reise hatte man ihn bis auf das abgetragene T-Shirt und die Unterhose ausgezogen und durchsucht. Dann hatte man ihm die Augenbinde
abgenommen und ihn über einen Bergpfad zu einer Steinhöhle geführt.
In der Höhle spendete ein kleiner Generator genug Strom für eine Lampe, und drei Gebetsteppiche lagen als Dekoration auf dem Boden. Auf einem groben Holztisch stand ein halb voller Teller mit Resten von Lamm und Reis; dahinter saß Bin Laden, flankiert von Bodyguards, die Kalaschnikows über die Schulter trugen. Der Scheich wirkte verhärmt und schwach, und sein langer Bart war mehr grau als weiß. Auf dem Boden kniend hatte Wells Bin Ladens Frage beantwortet, ob er glaube, dass die USA gegen den Irak Krieg führen würde.
»Ja, Scheich«, hatte er gesagt.
»Auch wenn die übrige Welt dagegen ist?«
»Die Kreuzritter warten schon ungeduldig auf diesen Krieg.«
»Und werden sie ihn gewinnen?«
»Ihr habt gesehen, was ihre Bomben anrichten können. Noch vor dem Sommer werden sie in Bagdad
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