Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes

John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes

Titel: John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berenson
Vom Netzwerk:
nicht neu. Als sie sich Wells’ Foto ansah, erinnerte sie sich an ihre erste Begegnung. Nach einem frustrierenden Einsatz in Islamabad war sie nach Langley zurückgekehrt. Es war ihr nicht gelungen, wichtige Verbindungspersonen zu rekrutieren. Ungeachtet ihrer
Bemühungen hatten sich die Beamten des pakistanischen Nachrichtendienstes geweigert, sie ernst zu nehmen. Wenn sie sich den Generälen an den Hals geworfen hätte, die sie auf den Partys der Botschaft betatscht hatten, hätte sie vielleicht mehr Erfolg gehabt. Aber diesen persönlichen Einsatz hatte sie verweigert.
    Nach drei langen Jahren hatte sich Exley entschlossen, nach Hause zurückzukehren, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Sie hatte um eine Versetzung in den Führungsstab der Operations-Abteilung angesucht, und ihr Ansuchen war bewilligt worden. Während sie enttäuscht war über den Ablauf ihres Einsatzes in Islamabad und sich selbst viel zu kritisch beurteilte, versicherten ihr ihre neuen Vorgesetzten, dass sie ein aufsteigender Stern war: Immerhin hatte sie in Pakistan seit Langem die meisten Agenten rekrutiert.
    Das zeigte nur, wie unbeweglich die CIA seit dem Kalten Krieg war, dachte Exley. Ungeachtet ihres Rufs glich die CIA heute fast schon all den anderen bürokratischen Einrichtungen Washingtons. Als echte Bürokraten sahen die hochrangigen Beamten ihre wichtigste Aufgabe in der Zentrale und nicht mehr in der langweiligen Routinearbeit der eigentlichen Spionage. Deshalb waren sie gern bereit, Exley nach Hause zu holen, wo sie nun Berichte von Feldagenten las, denen die wichtige Tatsache entging, dass Pakistan vor ihrer Nase Atomwaffen entwickelte.
     
    Dann überzeugte Shafer die Leitung der Operations-Abteilung, dass die CIA jemanden benötigte, der innerhalb des Kreises der Taliban Informanten rekrutierte. Seine Wahl fiel auf Wells. Warum er ihn gewählt hatte, verstand Exley in dem Augenblick, in dem sie Wells auf der Trainingsfarm der Agency in Camp Peary sah, die mitten im Sumpfland von
Virginia lag. Mit seiner leicht getönten Haut wirkte er ein wenig arabisch. Obwohl er groß und stark war – fast einen Meter neunzig bei fünfundneunzig Kilogramm –, hatte er nicht die Haltung eines Soldaten. Stattdessen besaß er eine anscheinend nicht zu erschütternde Selbstsicherheit und Gelassenheit. Selbst nach zehn Jahren trieb ihr die Erinnerung an ihre erste Begegnung das Blut ins Gesicht, denn ihr erster Eindruck war: Dieser Mann ist gut im Bett, und er weiß es. Selbstverständlich war diese Einschätzung ganz und gar unpassend, vor allem, wenn sie von einer Kollegin und glücklich verheirateten Frau kam. Aber so war es nun einmal.
    Wesentlich wichtiger waren die Tatsachen, dass Wells Arabisch sprach, Paschtun lernte und den Koran studiert hatte. Und dass er einer Aufklärungsmission nach Kabul und Kandahar bereitwillig zustimmte. Exley wurde ihm als Führungsoffizier zugeteilt, obwohl ihre Aufgabe lediglich darin bestand zu hoffen, dass Wells’ Leistung seiner Herkunft gerecht wurde.
    Nachdem Wells sechs Monate in Afghanistan verschwunden war – und damit einen Monat länger als vereinbart –, kehrte er ohne einen einzigen neuen Agenten zurück. Er erklärte, dass es unmöglich sei, Leute anzuwerben, weil die Taliban keine Außenstehenden akzeptierten. Auch wenn Exley enttäuscht war, überraschte sie dieses Ergebnis nicht. Dann sprach Wells über Bin Laden. Während ihn die CIA als Geldgeber für den Terrorismus überwachte, beharrte Wells darauf, dass er eine wesentlich wichtigere Rolle spiele. Er errichte Trainingslager in Afghanistan und plane einen Dschihad gegen die USA und Saudi Arabien, berichtete Wells. Genauere Einzelheiten konnte er nicht nennen, weil er nicht in den Camps selbst gewesen war. Seine Informationen beruhten
nur auf Hörensagen. Exley erinnerte sich lebhaft an diesen Augenblick.
    »Alle hassen uns«, hatte sie eingeworfen. »Was macht diesen Mann so besonders?«
    »Ich habe ihn einmal in Kabul gesehen«, erzählte Wells. »Es lag etwas in seinen Augen. Wir müssen ihn ernst nehmen. «
    »Es lag etwas in seinen Augen?«, hatte Shafer wiederholt, ohne seinen Sarkasmus zu verbergen. »Sie sind nicht einmal in ein Lager hineingekommen. Vielleicht rösten sie dort nur Marschmallows am Feuer und singen ›Kumbaya‹ dazu.«
    Wells knurrte, als hätte man ihn geschlagen. Vermutlich hat er noch nie bei einem Auftrag so versagt, dachte Exley damals. Ihr Mitgefühl hatte jedoch Grenzen, denn niemand war immer im Recht.

Weitere Kostenlose Bücher