John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
gar nicht, dass die Regierung der USA eine Akte von ihm mit Fingerabdrücken und Foto bekommen sollte. Soweit er wusste, besaß bisher noch kein Geheimdienst Fotos von ihm. Er war so anonym, wie man nur sein konnte: mittelgroß, weder dick noch dünn, glattes schwarzes Haar, relativ helle Haut für einen Pakistani und dazu eine geradezu unheimliche Gabe, Akzente nachzuahmen, was in seinem Arbeitsbereich ein unermesslicher Vorteil war. Auf diese Weise konnte er sich als Ägypter, Iraner, Filipino und vielleicht sogar Italiener ausgeben. Wenn er jedoch gezwungen war, seine Fingerabdrücke zu hinterlassen, müsste er bei jeder Einreise in die USA denselben Pass verwenden, und er zog es vor, hin und wieder seinen Namen zu wechseln.
»Sir? Haben Sie damit ein Problem?«
»Ist das jetzt Vorschrift?«, erkundigte sich Khadri. Wenn ich doch nicht so erschöpft wäre. Die Müdigkeit lähmte. Plötzlich überfiel ihn eine unerwartete Angst – aber nicht um ihn selbst, sondern um die Operation, die er diese Woche leitete.
»Ja, das gilt für alle, Sir.« Ein selbstgefälliges Grinsen huschte über das Gesicht der Einwanderungsbeamtin. Auch wenn sie es nicht laut aussprach, konnte er ihr ansehen, was sie dachte: Und wenn es dir nicht gefällt, kannst du wieder nach Hause fliegen.
Den Blick fest auf ihr schwarzes Gesicht gerichtet, kämpfte Khadri gegen seine Wut an. Er mochte keine Farbigen, schon gar nicht, wenn sie Amerikaner waren. Diese Frau war nur ein abgerichtetes Äffchen, eine Mischung aus amerikanischer Arroganz und afrikanischer Wildheit. Dennoch entschloss er sich, freundlich zu bleiben; immerhin wollte er nicht, dass das abgerichtete Äffchen seinen Pass einer genauen Untersuchung unterzog. »Dann wird es mir ein Vergnügen sein«, sagte er.
Die Prozedur dauerte nur wenige Sekunden. Er legte seinen Zeigefinger auf einen Digitalscanner und blickte in eine kleine Digitalkamera. Ein paar Sekunden später piepste der Computer der Beamtin, und sie winkte ihn weiter.
»Willkommen in den Vereinigten Staaten.«
»Es ist schön, hier zu sein«, sagte Khadri.
Noch am nächsten Morgen auf dem Flug nach Los Angeles ärgerte sich Khadri im Stillen über sich. Er hätte über diese neue Regelung der Fingerabdruckabnahme informiert sein müssen. Immerhin war sie öffentlich angekündigt worden. Ein solcher Fehler durfte ihm nicht unterlaufen. In ihrer Paranoia schienen die Amerikaner die Al-Quaida für eine allmächtige Tötungsmaschine zu halten. Khadri hingegen kannte auch die Schwächen der Gruppe nur allzu gut.
Es stimmte, dass die Al-Quaida nicht Gefahr lief, bankrott zu gehen. In den Neunzigern hatte Scheich Bin Laden rund um die Welt zig Millionen Dollar gesammelt, und immer noch strömten neue Mittel lautlos herein. Aber Geld allein war nicht genug. Al-Quaidas größtes Problem bestand darin, gute Agenten zu finden. Obwohl unzählige Männer bereit waren, für das angestrebte Ziel zu sterben, war es der Organisation nicht gelungen, mehr als eine Handvoll Kämpfer
in die USA einzuschleusen, bevor Amerika die Auflagen für Immigranten aus islamischen Ländern drastisch verschärfte. Eine Fehlentscheidung oder ein Augenblick der Panik konnten eine Operation zunichte machen, deren Planung Jahre in Anspruch genommen hatte.
»Kaffee oder Tee?«, fragte die Flugbegleiterin, während sie ihren Wagen heranrollte.
»Kaffee bitte. Mit zwei Stück Zucker und Milch.« Selbstverständlich trank Khadri keinen Alkohol und nahm keine Drogen, aber wie viele strenggläubige Muslime hatte er eine Schwäche für Süßes und ein ernst zu nehmendes Kaffeeproblem.
Während er an seinem Kaffee nippte, fragte er sich, wie ihn die Geschichte beurteilen würde. Er war der festen Überzeugung, dass die Welt eines Tages seinen Namen kennen würde, und zwar seinen richtigen Namen. Biografen und Historiker würden sein Leben erforschen. Aber wenn sie nach einem traumatischen Erlebnis oder Ähnlichem suchten, dem sie die »Schuld« für seine »Verbrechen« geben könnten, würde er sie enttäuschen.
Er war als Ältester und einziger Sohn von sechs Kindern in der englischen Stadt Birmingham aufgewachsen. Sein Vater Jalil war ein aus Pakistan emigrierter Ingenieur. Ein missmutiger Mann mit einem aufbrausenden Temperament. Seine Mutter Zained hatte kurzfristig eine Ausbildung zur Hilfskrankenschwester gemacht, aber nie in diesem Beruf gearbeitet. Beide Elternteile waren tief religiös und streng. Als Kind hatte Khadri den Gürtel seines
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