John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
Luft flog.
Josh Goldsmith versuchte, nicht nervös zu sein, aber es gelang ihm nicht. Heute war Donnerstag. In zwei Tagen feierte er seine Bar-Mizwa, und davor musste er noch am Freitagabend die Lesung halten. Zum tausendsten Mal sah er nun schon auf den fotokopierten Ausschnitt aus der Tora, den er vorlesen sollte, nur um sicherzugehen, dass er ihn auch auswendig konnte.
Ein Klopfen an der Tür schreckte ihn hoch. »Bist du fertig für die Schule?«
Er schüttelte verärgert den Kopf. »Mom, ich lerne.«
»Dann wirst du das Frühstück verpassen.«
»Ich brauche nur noch ein paar Minuten«, krächzte er mit überschlagender Stimme. Gott, wie erbärmlich. Würde er je wie ein normaler Junge die Pubertät hinter sich bringen?
»Dann zieh dir wenigstens die Socken an …«
»Okay, okay.« Wie die meisten reformierten Juden waren die Goldsmiths nicht besonders religiös. Aber Josh war ein lernbegieriger Junge und hatte sich intensiv auf das Ritual seiner Bar-Mizwa vorbereitet. Dennoch machte ihn sowohl der Gedanke an die Zeremonie am Samstagmorgen als auch an das darauf folgende Fest nervös. Die meisten Kinder aus der Schule hatten seine Einladung abgelehnt, was sich Josh nicht allzu sehr zu Herzen nahm. Immerhin würden seine echten Freunde kommen. Sein Blick wanderte an der Wand über seinem Bett zu dem Poster von Shawn Green empor – einem jüdischen 1st Baseman, der früher für seine geliebten Dodgers gespielt hatte und dann nach Arizona verkauft worden war.
»Think Blue«, flüsterte Josh das Motto der Dodgers, das in riesigen Buchstaben auf dem Berghang hinter dem Parkplatz des Dodger-Stadions stand. »Think Blue, Blue, Blue.« Think Blue, wiederholte er stumm, während er Shawn Green einen freundschaftlichen Fausthieb versetzte. Er konnte seine Lesung perfekt. Alles würde gut gehen.
Die Stahlfässer schimmerten trübe im Deckenlicht des Kleintransporters. Als Khadri in den Frachtraum des Vans stieg, hielt er sich ein Taschentuch vor den Mund, um nicht zu viel Staub zu schlucken. Er hob den verrosteten Deckel des Fasses direkt bei der Ladetür und glitt mit den Fingern durch die kleinen schmutzig weißen Kügelchen, mit denen das Fass zu drei Vierteln gefüllt war. Der Kleintransporter war mit einem Dutzend gleicher Fässer beladen, die insgesamt 1200 Kilogramm Ammoniumnitrat enthielten. Zuvor hatte Khadri schon die erste, etwas größere Bombe geprüft, die achtzig Kilometer nördlich von hier in einem Schuppen in Tulare in einem Lieferwagen versteckt war.
Niemand würde je den Fehler begehen, Aziz oder Fakhr für genial zu halten, dachte Khadri in sich hineinlächelnd. Aber für den Bau einer guten ANFO-Bombe musste man kein Genie sein. Dazu benötigte man nur Geduld und ruhige Hände. Und seine Männer hatten beides. Wie man es sie in den Camps gelehrt hatte, hatten Aziz und Fakhr die Fässer mit dem Dynamitzünder verkabelt, der die Initialzündung auslöste, und die Fässer so angeordnet, dass sich ihre Sprengkraft maximierte. Zur Sicherheit prüfte Khadri die Kabel noch einmal. Alles war in Ordnung. Sie mussten jetzt nur noch Öl hinzufüllen, umrühren, und die Mischung in die Luft jagen.
ANFO war der Traum eines jeden Bombenbauers, dachte
Khadri. Sollten die Regierungen doch bei Flugabwehrraketen und Maschinengewehren hart durchgreifen. Solange Landwirte Düngemittel und Traktoren brauchten, standen die Ingredienzien für eine Ammoniumnitrat-Heizöl-Bombe überall zur Verfügung. Diese Mischung hatte sogar einen Vorteil: sie war nicht flüchtig. Auch wenn die beiden Substanzen bereits vermischt waren, konnte man eine derartige Bombe noch Hunderte Kilometer weit transportieren, ohne eine unbeabsichtigte Explosion befürchten zu müssen. Das war besonders angenehm, wenn das Ziel in einer Großstadt, wie etwa Los Angeles, lag. Außerdem waren ANFO-Bomben erschreckend wirkungsvoll. Eine LKW-Ladung dieser Mischung, konnte ein ganzes Bürogebäude zum Einsturz bringen, wie Tim McVeigh und Terry Nichols in Oklahoma City bewiesen hatten. Während der 70er hatte das amerikanische Militär ANFO-Bomben sogar zur Simulation von Atomexplosionen eingesetzt.
Khadri tat es nicht leid, dass er sich die Zeit genommen hatte, um die Bomben persönlich zu prüfen, ebenso wie er in der Nacht zuvor den Zielort ausgekundschaftet hatte. Nach den Problemen auf dem United-Flug, würde er dafür Sorge tragen, dass diese Operation erfolgreich verlief. Diese Bombenanschläge dienten als wichtige Ablenkung von
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