John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
Bettkante, kaum einen Meter vom Gerät entfernt, sodass sich das Licht des Bildschirms in ihren Augen spiegelte. Sie sehen wie Zombies aus, dachte Khadri. Wie lebende Tote. Als er die Tür schloss, sprang Fakhr hoch. Sein Blick huschte zwischen Khadri und dem Fernsehapparat hin und her, ehe er auf einem Koran hängen blieb, der offen auf dem Tisch in der Ecke lag. Dünne Schweißflecken säumten die Achselnähte seines blauen Button-down-Hemdes. Dass er Angst hatte, überraschte Khadri keineswegs. Dem Tod ins Auge zu sehen, war nicht wirklich angenehm, selbst wenn es um eine gerechte Sache ging und das Paradies wartete. Nachdem die beiden Männer die Fahrzeuge geholt und die Kleidung bereitgelegt hatten, blieb ihnen nichts übrig, als über ihre Sterblichkeit nachzudenken. Khadri wandte sich Fakhr zu und umarmte ihn schnell und fest.
»Fakhr.«
»Abu Mustafa.« Die beiden Männer kannten seinen richtigen Namen nicht und würden ihn auch nie erfahren.
Als sich Aziz erhob, umarmte Khadri auch ihn.
»Meine Brüder«, sagte Khadri auf Englisch, wobei er Fakhr und Aziz bedeutete, sich wieder zu setzen. »Meine
Brüder«, begann er nochmals, »der Scheich selbst wartet auf diese Nacht.« Dann wies er auf den Fernsehapparat. »Heute Nacht werden die Ungläubigen besondere Nachrichten zu sehen bekommen. Heute Nacht werden sie mit eigenen Augen unsere Macht schauen.«
Fakhrs linke Hand zuckte unkontrollierbar.
»Fakhr …«
»Was ist, wenn wir versagen, Abu Mustafa?«
»Wir werden nicht versagen«, gab Khadri zurück. In den nächsten zwanzig Minuten ging er mit ihnen den Plan und alle Eventualitäten durch: Was, wenn einer der Lastwagen zu spät käme, von der Polizei aufgehalten würde, oder eine Bombe nicht explodierte? Khadri konzentrierte sich auf jedes Detail, bis der Anschlag selbst unausweichlich schien. Nachdem sie alle Möglichkeiten durchgesprochen hatten, griff er nach dem Koran und schlug die 87. Sure auf, die den Titel »Der Allerhöchste« trägt.
»Lasst uns gemeinsam lesen«, forderte er die beiden Männer auf.
»Bismallah rahmani rahim …«, deklamierten sie. »Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen! …«
Alle drei kannten die Sure auswendig. Wie viele andere islamische Jungen hatten sie bereits als Kinder die wichtigsten Verse des Korans auswendig gelernt, noch bevor sie lesen konnten. Als sie sich dem Höhepunkt des Gebets näherten, wurden sie langsamer, denn Khadri wollte, dass sie sich an diese Zeilen besonders gut erinnerten.
Doch ihr zieht das irdische Leben vor
wo doch das Jenseits besser und dauerhafter ist.
Dies stand wahrlich in den ersten Schriften
den Schriften Abrahams und Moses.
Zum Abschluss drückte Khadri seinen Männern die Hand. Nun sah er auch, dass die Angst aus Fakhrs Augen gewichen war. »Das Jenseits ist besser und dauerhafter«, wiederholte Khadri. »Ich beneide euch, meine Brüder. Denn ihr werdet schon bald im Paradies sein. Wie es in der 22. Sure heißt: ›Preist Allah, weil er die Wahrheit ist.‹«
»›Weil Er es ist, Der die Toten lebendig macht, und weil Er die Macht über alles hat‹«, beendete Aziz den Vers.
»Nam«, bekräftigte Khadri. »Und jetzt schickt die Ungläubigen zur Hölle.«
Der Gottesdienst dauert ja ewig, dachte Josh Goldsmith. Während er auf der Bima saß, dem erhöhten Teil an der Vorderseite der Temple-Beth-El-Synagoge, versuchte er, nicht zu seinen Eltern hinüberzusehen. Obwohl er keinen Grund dazu hatte, war er nervös. Dabei waren heute Abend nur Verwandte, Freunde und die üblichen Besucher in der Synagoge. Josh trug einen neuen grauen Anzug mit weißem Hemd und einer roten Masche mit winzigen kleinen Kaninchen darauf, die er selbst ausgesucht hatte. Ein wenig nervös spähte er auf die Uhr: 9:35. Er würde bald an die Reihe kommen.
Die Fahrt hatte genauso lang gedauert, wie Fakhr erwartet hatte. Das überraschte ihn nicht, weil er die Route im letzten Monat ein Dutzend Mal gefahren war. Über die Walton Avenue steuerte er den weißen Dodge nach Süden in Richtung Wilshire. Da er die Kreuzung mit hoher Geschwindigkeit passieren wollte, stieg er zunächst auf die Bremse, als die Ampel von Rot auf Grün schaltete, um etwas mehr Abstand zu dem Wagen vor ihm zu gewinnen. Als er einige Sekunden später fest auf das Gaspedal trat, sprang der Van vorwärts.
»Jetzt rufe ich unseren Bar-Mizwa Joshua Goldsmith ans Mikrofon, um uns im Gebet anzuführen«, sagte Rabbi Nachman. Als Josh aufstand, bemerkte er,
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