John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
nur von innen gelingen. Um Khadri zu Fall zu bringen, müsste sich Wells frei bewegen können, und genau dazu war er jetzt nicht imstande.
Exley und Shafer erzählten Wells auch nicht viel über die Untersuchungen der Bombenattentate von Los Angeles, aber er musste auch gar nicht nachfragen. Aus der Times und der Post wusste er, dass die Untersuchungen nicht allzu gut liefen. Die Zeitungen waren voll von den Kommentaren anonymer
FBI-Agenten über die Schwierigkeiten, diesen Fall zu knacken, weil die Täter weder identifiziert noch verhört werden konnten. Auf CNN und Fox beschuldigten die üblichen Großredner das FBI und die CIA, weil sie die Anschläge nicht verhindert hatten, und debattierten darüber, ob dies nun der Beginn einer neuen Terrorwelle war, oder ein einmaliges Ereignis. Wells glaubte, die Antwort auf diese Fragen zu kennen. Aber schon nach einer Woche des Entsetzens und improvisierter Gedenkfeiern schienen die meisten Menschen – und vor allem außerhalb von Südkalifornien – die Anschläge vergessen zu haben.
»Ich bin nur froh, dass es nicht schlimmer gekommen ist«, sagte ein Mann in der Times. »Das ist der Preis dafür, dass wir Amerikaner sind.« Der Mann wäre vermutlich nicht so anmaßend, wenn er wüsste, was sich tatsächlich in der CIA und den anderen Agenturen abspielte, die ihn schützen sollten, dachte Wells. All die Verschwendung, die Bürokratie, die Ineffizienz … Es musste nicht zu derartigen Anschlägen kommen. Man konnte sie verhindern. Und anstatt mitzuhelfen, dass solche Attentate erst gar nicht passierten, war er in diesem abgesicherten Unterschlupf zum Nichtstun verurteilt, nur weil er nicht bereit gewesen war, Vinny Dutos Arsch zu küssen.
Nach zwei nutzlosen Wochen, beschloss er auszubrechen. Vielleicht machte er einen Fehler, aber hatte er eine andere Wahl? Was, wenn ihn Khadri bereits kontaktiert hatte und ein weiterer Anschlag unmittelbar bevorstand?
Es war Mitte April, und überall in Washington standen die Kirschbäume in voller Blüte. Die ersten Gewitterstürme waren schon als Vorboten auf den heißen Sommer über die Stadt hinweggefegt. An diesem Freitagabend war es jedoch
für die Jahreszeit ungewöhnlich kühl, sodass Wells eine Jacke anzog, als er aus dem Haus ging und nach Westen in Richtung Kapitol spazierte. In der Hand verbarg er einen Papiersack mit einem Hammer und einem Schraubenzieher, die er am Tag zuvor gekauft hatte. Eine schwarze Ford-Limousine, die drei Häuser weiter geparkt hatte, folgte ihm, wie immer, wenn er das Haus verließ. Am nächsten Block setzte sich ein weiterer Ford in Bewegung.
Seit Shafer ihn in diesem Haus untergebracht hatte, war Wells jeden Abend spazieren gegangen. Mittlerweile war er sicher, dass die Überwachung damit endete – keine Verfolger zu Fuß, keine echten verdeckten Autos, keine Heckenschützen, keine Schnüffler. Er war fast beleidigt. Offenbar wussten sie nicht, wie leicht sie ihn verlieren konnten. Vielleicht kümmerte es sie auch nicht. In einem kleinen Laden auf der A-Street kaufte er sich eine Cola und spazierte dann wieder heimwärts, wobei ihm die beiden Fords wieder folgten.
Kurz vor zehn Uhr setzte sich Wells auf die Treppe vor seinem Haus und wartete auf das richtige Taxi. Der Osten des Capitol Hills war noch nicht vollständig erneuert worden, sodass er zwar hin und wieder jemanden sah, der seinen Hund ausführte, aber die Straße lag ansonsten zumeist ruhig da. Während Wells von seiner Cola trank, lächelte er zu dem Überwachungsteam im Ford hinüber und konnte nur mit Mühe der Versuchung widerstehen zu winken. Er fühlte sich wie ein Kind, das zum ersten Mal in diesem Sommer einen Kopfsprung machte.
Schließlich rollte ein Taxi mit abgedunkelten Scheiben durch die Straße. Perfekt. Wells winkte es heran. »Ist es in Ordnung, wenn ich vorn sitze?«
Der Fahrer, ein über fünfzigjähriger Schwarzer, musterte ihn von Kopf bis Fuß. Im Radio lief die Übertragung des Spiels Orioles gegen Red Sox, das eben in das elfte Inning ging. »Sicher. Aber passen Sie auf meinen Hut auf.« Auf dem Beifahrersitz lag ein brauner Filzhut.
Wells glitt auf den Sitz.
»Wohin?«
»Nach East Cap. Benning Road.«
»Da können Sie gleich wieder aussteigen.« East Cap lag drei Kilometer östlich des Capitol Hill, am anderen Ufer des Anacostia River, und zählte mit seinen Sozialbauten zu den ärmsten Vierteln von Washington D.C. Selbst tagsüber weigerten sich viele Taxifahrer, nach East Cap zu
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