John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
noch einmal ausgeholt hatte, um das Loch zu vergrößern, griff er hindurch und entsperrte die Fahrertür. Hastig lief er um den Jeep herum und glitt hinter das Steuer. Mit dem Schraubenzieher sprengte er die Lenksäule auf und drehte zwei Kabel zusammen. Schon beim zweiten Versuch sprang der Motor an. Nachdem sich Wells mit einem Blick auf die Straße versichert hatte, dass die beiden Fords nirgendwo zu sehen waren, fuhr er los.
Von einem Münztelefon auf der Massachusetts Avenue aus rief er Exleys Apartment an. »Hallo«, meldete sie sich bereits nach dem zweiten Läuten. Ihre Stimme klang ruhig und ein wenig rauchig. Als Wells sie kennenlernte, hatte sie geraucht, aber inzwischen hatte sie wohl aufgehört. Ein angenehmer Schauer lief Wells über den Rücken.
»Ich bin es«, sagte er.
»John?«
»Warten Sie in fünf Minuten vor Ihrem Aufgang.« Dann legte er auf. Selbstverständlich war es ein Fehler, sie anzurufen,
denn er sollte schon auf dem Weg nach New York sein. Dort würde er den Jeep irgendwo abstellen, das Geld holen, das er versteckt hatte und mit einer Greyhound-Linie, die nicht durch Washington D.C. kam, nach Atlanta fahren. Mit einem kaum zehn Sekunden langen Anruf konnte sie ihn aufhalten. Aber er musste sich von ihr verabschieden. Außerdem musste er sich davon überzeugen, dass er zumindest einem Menschen vertrauen konnte.
Sobald sie über die Straße auf den Jeep zuging, öffnete er die Tür und streckte ihr die Hand entgegen.
»Passen Sie auf die Glassplitter auf.«
Er hatte zwar versucht, sie auf den Boden zu fegen, war dabei aber nicht wirklich erfolgreich gewesen. Überrascht stellte er fest, dass sie einen kniekurzen Rock trug. Sie sollte öfter Röcke tragen, dachte er. Selbst die Taliban würden dem zustimmen. Nun, vielleicht auch nicht. Nachdem sie die letzten Glassplitter weggefegt und sich vorsichtig gesetzt hatte, fuhr er über die 13th Street nach Norden.
»Haben Sie den Wagen gestohlen?«
»Nur geborgt«, antwortete Wells, während er die Fahrzeugpapiere des Jeeps hochhielt. »Vermutlich schulde ich Elizabeth Jones ein paar Dollar.«
»Wohin fahren wir?«
»Wir fahren nirgendwohin. Ich wollte Sie nur für eine Minute sehen.«
»Wohin werden Sie dann fahren?«
»Fort.«
»John …«
Plötzlich begriff Exley. Shafer hatte dies hier genauso arrangiert wie Wells’ Reise in die Camps vor vielen Jahren. Weil
er wusste, dass Duto aus Dummheit oder Bosheit alles unterbinden würde, was Wells beabsichtigte, hatte er Wells selbst übernommen. Dann drängte er ihn so in die Ecke, dass Wells glaubte, keine andere Wahl zu haben, als auszubrechen. Aus diesem Grund hatten sie ihm auch nicht gesagt, dass er den Lügendetektortest bestanden hatte, und hatten ihn auch danach an der kurzen Leine gehalten. Deshalb hatte Shafer Wells auch in dem nur dürftig abgesicherten Unterschlupf untergebracht und nicht an einem sichereren Ort. Nur auf diese Weise würde es Wells gelingen, sich davonzumachen.
»Es ist zu riskant«, sagte Exley. Was, wenn Duto die Bluthunde rief? Aber würde er das tun. Einerseits hielt er Wells nicht für gefährlich und andererseits würde es ihm großes Vergnügen bereiten zuzusehen, wie sich Shafer über den Verlust seines geliebten Schoßhündchens ärgerte.
»Ich weiß, was ich tue«, sagte Wells.
Weißt du das wirklich, John?, dachte Exley, während sie ihm die Hand auf den Arm legte.
Ihre Berührung entfachte in ihm ein solches Verlangen, dass er am liebsten den Jeep an den Straßenrand gefahren und sie hier und jetzt neben der Fahrbahn genommen hätte. Sollten doch die Nachbarn zusehen und die Cops rufen. Dann hätte Langley guten Grund, uns beide hinauszuwerfen, dachte er. In dem Augenblick nahm sie die Hand von seinem Arm.
»John? Ich habe mich etwas gefragt.«
»Ja?«
»Warum haben Sie Heather besucht?«
»Ich wollte nicht Heather sehen, sondern Evan.«
Während sie einen Moment lang schweigend nebeneinandersaßen, fragte sich Wells, ob er ihre Frage richtig verstanden hatte: Liebst du sie immer noch? Dann legte Exley ihre
Hand wieder auf seinen Arm, und da wusste er, dass er recht hatte.
»Erzählen Sie mir eine Geschichte«, forderte er sie auf, um sich abzulenken und um noch ein wenig länger ihre Stimme zu hören, ehe er verschwand.
»Welche Art von Geschichte?«
»Irgendeine. Egal welche. Vielleicht etwas Persönliches.«
Was sollte sie ihm erzählen?, fragte sie sich. Für sie gab es ja nur die Arbeit. Sollte sie ihm
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