John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
ihren Abschusscode verrät, sodass wir Schanghai mit einer Atombombe dem Erdboden gleichmachen können, ohne fürchten zu müssen, dass sie zurückschlagen? Wir sollten unsere Navy nach Hawaii zurückrufen und abwarten, bis sich die Dinge wieder beruhigt haben.«
»Vielleicht. Vielleicht betrachtet die Volksbefreiungsarmee dies dann aber als Blankovollmacht, um in Taiwan einzumarschieren. Tatsache ist, dass wir nicht wissen, was sie wollen, oder was sie denken. Jetzt will jemand von ihrer Seite mit uns sprechen, der es weiß.«
»Wenn er so verdammt wichtig ist, schlagen Sie ihm doch vor überzulaufen.«
»Er diktiert die Regeln, Ellis, nicht wir. Und er ersucht um ein Treffen nach seinen Bedingungen, auf seinem Territorium. Wenn John es nicht tun will, ist das in Ordnung. Dann finde ich einen anderen.«
»Noch eine letzte Frage, George. Haben Sie diesen kleinen Plan mit Duto abgesprochen?«
»Warum sollten wir das nicht tun?«
»Ich schließe mein Plädoyer ab.«
»Ich würde auch gern etwas sagen«, meldete sich Wells zu Wort.
Exley verschränkte ihre Hände zu einem unbewussten Gebet.
»Ich werde gehen.«
Exley und Shafer reagierten gleichzeitig.
Shafer: »Lassen Sie es …«
Exley: »Nein, John …«
»Ich werde gehen.«
Teil 4
28
Jeden Morgen kamen mehr Demonstranten auf den Tiananmen-Platz: Bauern, die vom Alter und der Arbeit gezeichnet waren, Universitätsstudenten, Fabrikarbeiter und sogar Büroangestellte. Sie kamen mit dem Fahrrad oder mit Bussen, die sie am Südende des Platzes vor dem McDonald’s-Restaurant aussteigen ließen. Um den ganzen Tag über bleiben zu können, waren sie mit Säcken ausgestattet, die Obst und Klöße enthielten. Jeden Abend, wenn es dunkel wurde, gingen sie wieder, wie mehrere Tausend Polizisten beobachteten. Und tagsüber sangen sie unter dem trüben Himmel und schwenkten ihre Banner:
»Der Wille des Volkes ist stark!«
»Ein Volk, ein China!«
»Hegemonisten, entschuldigt euch! Keine weiteren amerikanischen Kriegsverbrechen!«
»USA, verschwindet aus dem Chinesischen Meer! China wird die zweiundzwanzig Märtyrer nie vergessen!«
Einige Sloganschreiber zeigten sogar ein wenig schlauen Humor:
»Eins komm fünf Milliarden Chinesen können nicht irren.«
»Das amerikanische Jahrhundert ist vorüber! Heute beginnt das chinesische Jahrtausend!«
Am ersten Morgen, nachdem die Decatur den Fischkutter
versenkt hatte, kamen fünfzigtausend Menschen auf den Tiananmen-Platz. Zwei Tage später schätzte die Polizei von Peking die Menge auf einhundertfünfzigtausend. Ähnliche Menschenansammlungen füllten auch den Volkspark in Schanghai, den Yuexiu-Park in Guangzhou und die zentralen Plätze in Xian und den übrigen chinesischen Metropolen.
Am fünften Tag, als die Polizei von Peking die Menge auf dem Tiananmen-Platz auf eine Viertelmillion schätzte, flog Li Ping in einem Hubschrauber über den Platz und sah auf das Volk hinunter, sein Volk. Noch waren es nicht genug Menschen, um den Platz zu füllen – der Tiananmen-Platz konnte mehr als eine Million Menschen fassen -, dennoch schwoll Li das Herz bei diesem Anblick.
Was für ein Unterschied zum Jahr 1989, als der Tiananmen-Platz das letzte Mal so voll war, dachte Li. Damals war das Volk wütend auf seine Anführer. Diesmal nicht. Die Bauern waren froh darüber, ein offiziell sanktioniertes Ventil gefunden zu haben, um ihrer Wut freien Lauf zu lassen, dass man sie zurückgelassen hatte. Die Mittelklasse wollte der Welt zeigen, dass sich China nicht mehr einschüchtern ließ. Der Untergang des Fischkutters hatte sie vereint. Li hatte sie vereint. Dieser Erguss war das lebende Symbol seines Willens. Schon bald würde er Zhang als inoffizieller Führer des Ständigen Ausschusses ablösen. Zwei liberale Ausschussmitglieder hatten schon Kontakt zu ihm aufgenommen, um ihn wissen zu lassen, dass sie ihn unterstützen werden, wenn er ihnen versprach, sie nicht aus dem Ausschuss zu werfen, sobald er das Kommando übernahm.
Beim nächsten Parteikongress würde er Xu als Generalsekretär der Partei ablösen. Für den alten Mann war es Zeit, sich zur Ruhe zu setzen. Li würde Anführer der Armee und
der Partei sein, und damit der mächtigste Führer seit Mao. Er würde China neu aufbauen und sicherstellen, dass auch das gewöhnliche Volk teil hatte am Wohlstand, während er gleichzeitig die Streitkräfte stärken würde. Die USA würden nicht mehr die einzige Supermacht der Welt sein. Dies war Chinas Schicksal und das
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