John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
dass wir ihre Grenzen
überschritten haben, auch wenn sie es nicht eingestehen werden. Außerdem wird ihnen unsere Aktion neuen Respekt für unsere Fähigkeiten abringen.«
Zhang schlug mit der Faust auf den Tisch. »Genosse Li, kehren Sie zu Ihren Panzern zurück, und überlassen Sie strategische Überlegungen weiseren Männern. Wir sind nun schon zweimal den Berg hinaufgestiegen, erst mit dem Abkommen mit dem Iran und dann mit unseren Raketentests. Jetzt wollen Sie, dass wir ihn ein drittes Mal erklimmen. Diesmal werden wir sicher auf den Tiger stoßen.«
»Die Amerikaner sind nicht der Tiger. Unser Volk ist der Tiger, Minister Zhang. Wenn wir die Ehre der chinesischen Nation nicht verteidigen, wird es uns das nicht verzeihen.«
»Die Ehre der chinesischen Nation?«
»Vielleicht haben Sie vergessen, was diese Worte bedeuten.«
»Weil ich kein Kriegshetzer bin?«
Xu stemmte sich aus seinem Stuhl hoch. »Minister. Wir sind alle Diener des Volkes. Es gibt keinen Grund für so etwas. Nun, ich habe eine Entscheidung getroffen.«
»Sie haben eine Entscheidung getroffen?« Angesichts des Tonfalls des alten Mannes konnte Zhang sein Erstaunen nicht verbergen.
»Ja, das habe ich, Wirtschaftsminister. Bin ich etwa nicht der Generalsekretär?«
Xu machte eine Pause. In diesem Augenblick erkannte Li, dass sich der alte Löwe köstlich amüsierte. Jahrelang hatte Zhang Xus Macht an sich gerissen und Xu die Rolle einer Gallionsfigur überlassen. Durch Lis Herausforderung Zhang gegenüber hatte Xu wieder von jener Macht gekostet, die er verloren hatte. Deshalb überraschten Xus nächste Worte Li keineswegs.
»General Li. Bitte setzen Sie unsere Streitkräfte ein, um den von Ihnen umrissenen Plan durchzuführen.«
»Danke, Generalsekretär.« Diesmal machte sich Li nicht einmal die Mühe, zu Zhang hinüberzusehen, als er hinausging.
Vor dem Festsaal wartete Lis Limousine, um ihn in sein Büro zu bringen. Während er auf seinen Wagen zuging, fuhr eine weitere Limousine vor. General Baije Guangchen, der Leiter des Nachrichtendienstes der Volksbefreiungsarmee, sprang heraus.
»Minister. Es tut mir leid, Sie zu stören. Aber hier ist etwas, das Sie sehen sollten. Darf ich mit Ihnen allein sprechen?«
»Wie Sie wünschen.« Li folgte Baije auf den Parkplatz neben dem Festsaal. Was auch immer Baije wollte, musste wichtig sein. Denn er lebte ausschließlich von grünem Tee und verließ fast nie sein Büro. Sobald sie weit genug entfernt waren vom Eingang, übergab Baije Li zwei Dokumente, eines auf Englisch und eines auf Chinesisch.
»Wie Sie erkennen können, stammt es von unserem Kontaktmann in der amerikanischen Botschaft …«
Li hob einen Finger an die Lippen. Er wollte die Mitteilung selbst lesen. Als er damit fertig war, musste er all die Disziplin aufwenden, die er sich im Lauf der Jahre angeeignet hatte, um nicht lautstarke Flüche in den Äther hinauszubrüllen. All seine Arbeit, all seine Planung, und jetzt dies? Ein Verräter unter ihnen?
»Wann ist das hereingekommen.«
»Heute Morgen.«
»Und Sie halten es für zuverlässig?«
»Ja, General.«
Vor ungefähr einem Jahr hatte sich Matt Kahn, ein Marine
Guard an der amerikanischen Botschaft, in Hua verliebt, eine Kellnerin in Sanlitun, einem Stadtteil im Nordosten Pekings, wo sich Ausländer gern trafen, um billiges Bier zu trinken und die Football- und Soccerspiele vom Vortag anzusehen. Erst nachdem sie drei Monate zusammen waren, entdeckte der unglückselige Marine, dass sein Mädchen Hua in Wirklichkeit ein Junge namens Hu war. Als die Polizei in Hus Wohnung eintraf, hatte ihm Kahn bereits ein Auge ausgeschlagen und beide Hoden abgeschnitten. Die Polizisten riefen ihren Hauptmann herbei, der, sobald er erfuhr, wo Kahn arbeitete, erkannte, dass die Situation einiges an Möglichkeiten bot. Innerhalb einer Stunde hatte die Polizei den Fall an den Nachrichtendienst der Volksbefreiungsarmee weitergeleitet, die Kahn ein Angebot unterbreitete. Entweder ihn erwarteten eine Gerichtsverhandlung und öffentliche Demütigung auf zwei Kontinenten. Oder er würde den Chinesen einen Blick in die Akten des Nachrichtendienstes an der Botschaft gewähren, das heißt in alles, was er in einem schnellen Durchgang erwischen konnte.
»Das dauert nur ein paar Minuten«, hatte der Oberst des chinesischen Nachrichtendienstes Kahn erklärt. »Und dann ist all dies« – er deutete auf den schlanken, unbehaarten Mann in dem blutigen Kleid in der Ecke – »vorüber.« Kahn
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