John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
sich sein Magen verkrampfte, und die Rühreier, die er sich heute Morgen im St. Regis auf das Zimmer hatte bringen lassen, brachen aus seinem Mund hervor und landeten als stinkender Haufen zu seinen Füßen.
Das Erbrochene hinterließ in seiner Kehle einen sauren, bitteren Geschmack, der ihn wieder in die Wirklichkeit zurückbrachte. Feng trat hinter ihn und löste die Fußfesseln, sodass er wieder stehen konnte. Die Arme blieben jedoch immer noch über seinem Kopf gefesselt. Ernie und Bert renkten seine Schulter wieder ein. Der Schmerz ließ nach. Zumindest ein wenig.
Feng wandte sich an ihn.
»Verstehen Sie jetzt, Mr Wilson?« Er sah auf die Uhr. »Sie sind nun seit einer Dreiviertelstunde hier. Stellen Sie sich jetzt Wochen vor oder gar Monate.«
Aber Wells hörte nicht mehr zu. Er blickte Cao an, denn
er wollte herausfinden, ob dies nun der letzte Akt seines Verrats war. Arbeitete Cao mit Li zusammen oder gegen ihn?
Cao hinkte ein wenig, als er auf seinem künstlichen Bein näher kam. Teilnahmslos betrachtete er Wells’ geschundenen Bauch und die mit Blutergüssen übersäten Beine.
»Name?«, fragte er auf Englisch mit schwerem Akzent, aber erkennbar.
Wells schloss die Augen. Er konnte sich kaum aufrecht halten, aber wenn er in sich zusammensackte, wurde der Druck in seiner Schulter unerträglich.
Jemand stieß ihn mit dem Finger in den Bauch. »Name?«
»Wilson. Jim Wilson.« Wells hustete, drehte den Kopf zur Seite und spuckte einen dicken Klumpen Speichel, vermischt mit Blut, auf den Boden, direkt neben die schwarz glänzenden Stiefel von Cao Se.
»Mein Name Cao Se.« Cao schwieg einen Augenblick. »Sie verstehen?«
Wells hob den Kopf. Wieder flackerte in ihm ein Hoffnungsschimmer auf. »Ja«, sagte er. »Vielleicht.«
»Was Sie ihnen sagen?«
»Dass ich hier bin, um Geschäfte …« Das Sprechen erschöpfte Wells.
»Nichts. Sie sagen nichts.«
»Das ist richtig. Nichts.« Cao und Wells sprachen nun ihre eigene Sprache, die Feng, der Fragensteller, nicht verstand, auch wenn er noch so aufmerksam zuhörte. Wells wollte ihm so gern glauben. Feng sagte etwas zu Cao, aber dieser schnitt ihm das Wort ab und wandte sich erneut an Wells. Eine dicke Narbe lief an der linken Seite seines Halses hinunter, eine alte, gezackte Wunde. Schrapnell, dachte Wells.
»Sie amerikanischer Spion. Verhaftet in Verbotener Stadt.«
»Ich bin kein Spion.«
Cao drehte Wells’ Kopf in seinen kleinen kräftigen Händen zu sich, sodass Wells ihn ansehen musste. »Wen? Wen Sie dort getroffen?«
»Niemanden.« Wells riss sich aus Caos Händen los und sah zu den Männern hinüber, die hinter Cao standen. Es war Zeit, den Sprung zu wagen. Zeit, um herauszufinden, auf welcher Seite Cao stand. »Was wollen Sie, dass ich sage? Dass ich hierhergekommen bin, um den Vorsitzenden Mao zu treffen. Nur ist er leider tot. Dass ich hierhergekommen bin, um Sie zu treffen. Sie. Cao Se. Sind Sie jetzt glücklich?«
Cao zog eine Pistole aus der Tasche, auf deren Lauf bereits ein langer schwarzer Schalldämpfer aufgeschraubt war. »Sie gestehen? Sie Spion?«
»Sicher. Ich gestehe.«
Cao trat vor und legte den Schalldämpfer an Wells’ Schläfe. Wells hatte keine Angst, er war nur wütend auf sich, weil er sich verrechnet hatte, weil er es zugelassen hatte, dass ihn Cao ein zweites Mal in eine Falle gelockt hatte. Sie hatten vorzüglich mit ihm gespielt. Er hatte geglaubt …
Aber was er geglaubt hatte, war nun bedeutungslos. Er schloss die Augen und sah, wie sein Kopf explodierte und sich Gehirn auf dem Boden verteilte. Dann kam Exley zu ihm, und Evan …
Und Cao drückte dreimal ab. Der Schalldämpfer verringerte den Knall der Schüsse auf drei rasche, leise Zischlaute. Fft, fft, fft, ein überraschter Aufschrei, dann zwei weitere Schüsse. Wells hörte sie alle und wusste, dass er am Leben geblieben war. Auch diesmal wieder.
Er öffnete die Augen. Drei Männer lagen auf dem Boden. Bert und Ernie tot, mitten zwischen die Augen geschossen. Feng lebte noch, mit einem Loch im Gesicht und zweien in der Brust. Er hatte eine Hand gehoben. Nun stöhnte er leise und erschöpft. Doch noch während Cao die Pistole hob, um ihn endgültig zu erledigen, entfuhr seinem Mund ein schwaches Todesrasseln, wie das hoffnungslose Geräusch eines Luftballons, der in sich zusammensackte, und dann regte sich seine Brust nicht mehr.
Cao ließ die Pistole in die Tasche fallen, kniete nieder, wobei er sorgfältig darauf achtete, seine Stiefel nicht mit dem
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