John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
Tode fürchten. Also bettle. »Bitte, tut mir das nicht an.«
Wieder griff der Mann in die Tasche. Diesmal zog er einen rot bemalten Metallkanister heraus, der wie eine übergroße Bierdose mit Ausgießer an der Oberseite aussah. Als er auf einen Knopf an der Seite der Dose drückte, schoss eine blaue Flamme mit leisem Zischen hervor. Eine Miniaturazetylenlampe, wie sie Schweißer für kleine Arbeiten verwendeten. Der Mann drehte an der Düse, bis die Flamme in kräftigem Blau strahlte und ungefähr sieben Zentimeter lang war. Dann schaltete er sie ab und legte sie mit der Skalpellschatulle auf einen Klappstuhl.
»Ich sage Ihnen. Das ist ein Missverständnis.«
Der Mann griff nochmals in die Tasche. Diesmal hielt er den Flash Drive hoch, den der Junge Wells in dem Garten gegeben hatte. Li Ping schritt rasch durch die Zelle und schlug Wells in einer einzigen geschmeidigen Bewegung in die Rippen, direkt auf den Solarplexus. Einmal, ein zweites Mal, ein drittes Mal – und danach noch drei weitere Male.
In Anbetracht der Tatsache, dass Li schon über sechzig war, schlug er hart zu, dachte Wells. Da er den flachen, muskulösen Bauch eines Boxers hatte, schmerzten ihn die Hiebe selbst nicht allzu sehr. Aber mit jedem Hieb wurde er auch zur Seite gedreht, sodass ein stechender Schmerz durch seine verletzte Schulter jagte. Li und die Männer um ihn beobachteten ihn wortlos. Sie befanden sich auf einem anderen Planeten, in einem anderen Universum, in einem, in dem kein Schmerz existierte.
Li nahm den Flash Drive von dem Mann, der ihn hochhielt. »Wer das gegeben?«, fragte er in gebrochenem Englisch.
»Ein Junge. In der Verbotenen Stadt. Das ist alles ein Missverständnis.
Bitte, Sir, ich weiß nicht, wer Sie sind, aber Sie müssen mir helfen.«
Li sprach auf Chinesisch. »Er sagt, dass Sie genau wissen, wer er ist. Er ist Li Ping«, sagte der Mann, der den Flash Drive gehalten hatte, auf Englisch zu Wells. Er sprach mit einem schweren russischen Akzent. »Er ist der oberste Führer der Volksbefreiungsarmee. Er will, dass Sie wissen, dass er nicht gut Englisch spricht. Er wird Sie jetzt verlassen. Aber er wollte Sie persönlich sehen. Den amerikanischen Spion, der dumm genug war, am heutigen Tag in die Verbotene Stadt zu kommen.«
Li sagte noch etwas. »Und er sagt, dass es ihm einerlei sei, ob Sie am Leben bleiben oder sterben. Dies ist Ihre letzte Chance, ihm die Wahrheit zu sagen. Wenn Sie dies tun, wird das chinesische Volk vielleicht Gnade walten lassen. Wenn nicht …« Der Fragesteller schüttelte den Kopf.
»Sagen Sie ihm, dass ich schwöre, dass er einen Fehler macht …«
Der Fragesteller sagte ein paar Worte zu Li. »Okay«, sagte Li auf Englisch. »Ihre Wahl.« Dann ging er davon. In der Tür wandte er sich nochmals zu Wells um und machte die Bewegung des Halsabschneidens. Damit verließ er den Raum. Cao folgte ihm wortlos.
Sobald sich die Tür schloss, trat der Hüne vor, aber der Fragesteller winkte ab und griff in die Tasche. Trotz all seiner Fähigkeiten und trotz all der Dinge, die er schon gesehen und erlebt hatte, empfand Wells Angst. Er riss sich zusammen. Denk nach. Bleib ruhig. Sie wollen, dass du dir deine Qualen vorstellst, damit du dich selbst verletzt, bevor sie dich verletzen.
Der Fragesteller fischte ein Blatt Papier aus der Tasche.
»Wie heißen Sie?«
»Jim Wilson. James Wilson …«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Ihren richtigen Namen, bitte.« Der Fragesteller hielt das Papier für Wells hoch. »Der Grund Ihres Aufenthaltes. Der Brief, den Ihre Botschaft vor einer Woche erhielt. Die Instruktionen sind sehr detailliert. Sie sollen am heutigen Tag in die Verbotene Stadt kommen. Das haben Sie getan. Sie sollen zu Mittag bei dem Stein warten, der aussieht wie Holz. Das haben Sie getan. Und schließlich sollen Sie ein grünes T-Shirt tragen.« Der Mann deutete in die Ecke, wo Wells T-Shirt lag.
»Zufall. Ich schwöre es.«
»Zufälle gibt es nicht in unserer Welt. Hören Sie mir zu. Bitte. Sie werden sich viele Qualen ersparen. Wissen Sie, wir haben die Verbotene Stadt heute sehr« – durch seinen russischen Akzent klang es wie »serrrrrr« – »sorgfältig überwacht, Mr Wilson. Zweiundzwanzig andere Amerikaner. Nicht ein einziger mit grünem T-Shirt.« Er hielt zwei Finger hoch. »Nur zwei besuchten den Stein. Gerry und Tim Metz aus New York.« Er hielt ein Polaroidfoto von zwei lächelnden Männern hoch, die beide über sechzig Jahre alt waren. »Sehen so Spione
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