John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
und das Magazin war voll. Sobald er damit fertig war, bemerkte er, dass Greg Hackett auf seine 9-mm-Makarov starrte. Hackett war das jüngste Mitglied der B-Kompanie, ein kleiner Mann, dessen Kopf direkt aus den massiven Schultern herauszuwachsen schien. Er hatte buschige Brauen und eine dicke Nase und ein Gesicht wie eine grob behauene Marmorbüste, bei der sich der Künstler entschlossen hatte, sie nicht fertigzustellen.
»Mr Wells, Sir, darf ich eine Frage stellen?«
»Wenn Sie aufhören, mich Sir zu nennen, Hackett.«
»Ja, Sir … ich meine John.« Hackett betrachtete die Pistole. »Ist das die Waffe, die Sie verwendet haben?«
Wells wusste erst nicht, was Hacket meinte, aber dann begriff er. »Sie meinen gegen Khadri.«
Hackett nickte, ohne den Blick von der Waffe abwenden zu können.
»Wenn Sie schon fragen, ja.« Wells gab Hackett die Makarov, die der Sergeant vorsichtig wie ein Neugeborenes in den Händen hielt.
»Es gibt keinen Grund, sie zu verherrlichen. Es ist nur eine Waffe.«
Hackett gab ihm die Pistole zurück. »Darf ich Ihnen noch eine Frage stellen, Sir? Was ist das für ein Gefühl, wieder hier zu sein?«
»Sergeant, haben Sie nichts zu tun?«
Wells war mehrere Jahre vor dem elften September nach Afghanistan gekommen, als die meisten Amerikaner noch nie von Osama Bin Laden gehört hatten. Er hatte fast ein ganzes Jahrzehnt Seite an Seite mit Al-Quaida- und Taliban-Kämpfern gefochten. Während dieser Jahre war er sogar zum Islam übergetreten. Schließlich hatten ihn die Kämpfer als wahren Gläubigen akzeptiert.
Heute war Wells glücklich, seine ehemaligen Verbündeten zu jagen. Er betrachtete sich auch nicht mehr als Muslim. Nach allem, was er gesehen hatte, konnte er nicht einmal mehr aufrichtig sagen, ob er an Gott glaubte. Und selbst während der Jahre, in denen er den Islam als einzigen wahren Glauben akzeptiert und sich täglich fünfmal vor Allah verbeugt hatte, hatte er Bin Ladens nihilistische Vision der Religion gehasst.
Die Taliban und Al-Quaida rühmten sich damit, Jugendliche als Selbstmordattentäter anzuwerben. Dadurch waren sie des Islam unwürdig.
Und sie waren Afghanistans unwürdig. Die Afghanen waren durch und durch stammesgebunden und in winzige Sekten aufgesplittert, die seit Jahrhunderten untereinander verfeindet waren. Die Taliban hatten sich die interne Zersplitterung Afghanistans zunutze gemacht, um dem Land in den Neunzigerjahren eine bösartige Diktatur aufzuzwingen. Anscheinend hatten sie aus reiner Gehässigkeit auch
die geringen Fortschritte zunichtegemacht, die Afghanistan während des zwanzigsten Jahrhunderts erreicht hatte, und sämtliche Krankenhäuser und Schulen des Landes zerstört. Während der amerikanischen Invasion nach dem elften September machten die Planer im Pentagon den Scherz, dass die USA mit ihren Bomben Afghanistan vorwärts in das Steinzeitalter katapultieren würden.
Durch den amerikanischen Angriff waren die Taliban gezwungen gewesen, die Macht abzugeben. Jetzt taumelte Afghanistan in Richtung Modernität und Demokratie. Allerdings hatten die Taliban nicht das Land verlassen. Ihre Kämpfer versuchten immer noch, Stammesführer gegen die USA und deren Verbündete aufzubringen, so wie es die Rebellen im Irak getan hatten. Sie hatten sogar eine echte Chance auf Erfolg, weil sich die Afghanen in jeder Krise nach innen wenden. Wells verstand, warum sie sich nur auf sich selbst verließen. Jahrhundertelang waren Fremde gekommen und gegangen, von denen die meisten das Land in schlimmerem Zustand zurückgelassen hatten, als sie es vorgefunden hatten. Aber …
Eine Hand auf seiner Schulter riss ihn aus seinen Gedanken.
»Schutzbrillen!«, brüllte Captain Steve Hughley, der Befehlshaber der B-Kompanie.
Wells hatte so intensiv über die Zukunft Afghanistans nachgedacht, dass er den neuerlichen Start des Black Hawk nicht bemerkt hatte. Rasch steckte er die Ohrstöpsel ein und zog die Schutzbrille über die Augen, während die Rotoren des Hubschraubers ihre Höchstgeschwindigkeit erreichten und den Staub und die Steinchen auf dem Rollfeld aufwirbelten.
»Bereit?«, brüllte Hughley.
»Ja!«, brüllte Wells mit echter Begeisterung zurück. Seit seiner Zeit als Ranger Mitte der Neunziger war er nicht mehr mit einem Black Hawk geflogen. Er hatte schon vergessen, wie prächtig diese Hubschrauber aus der Nähe waren – und wie laut. Selbst mit Ohrstöpseln überwältigte ihn das Kreischen der eintausendachthundert PS starken Turbinen
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