John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
töten, auch wenn wir verdammt noch mal sicher sind, dass uns die andere Seite nicht so viel Wohlwollen entgegenbringt.«
Wieder nickten die Männer. »Aber dann dachten wir, vielleicht will der Captain ja einen
Kuss von ihm. Immerhin hat er seine Frau seit sechs Monaten nicht mehr gesehen, und der Typ war recht nett anzusehen.«
»Jetzt machst du mir wirklich Angst«, sagte Hughley.
»Er war doch wirklich ein hübscher Junge, oder etwa nicht?« Gaffan sah sich an dem schweigenden Tisch um. »Ich weiß, dass ihr alle so gedacht habt, also leugnet es nicht ab … niemand gibt es zu?« Pause. »Okay. Dann wollen wir so tun, als hätte ich das nie gesagt.«
»Zu spät«, sagte Danny Gonzalez, der Sanitäter der Kompanie.
»Weiter im Text. Dann beginnt der Captain zu singen …« »Zu beten.« Hughley sah zu Wells hinüber. »Die erste Sure.«
»Und Abdullah beugt sich vor, um sicherzugehen, dass es wirklich der Captain ist, der da spricht … Übrigens, wie war sein Atem, Sir?«
»Lassen Sie es mich so sagen, Sergeant. Selbst wenn ich in Ihrem Team spielen würde, hätte ich ihn nicht geküsst.«
»Sir. Das war jetzt aber unnötig. Außerdem ist es nicht wahr. Ich glaube, das nennt man Belästigung, Sir. Auf jeden Fall ist er sehr nahe gekommen.« Gaffan erhob sich und beugte sich so dicht zu Wells, dass dieser seine Poren zählen konnte. »Er musste hochsehen, denn der Captain ist gut einen Kopf größer als er.«
»Haben Sie Tabasco auf Ihren Burger gegeben, Sergeant?«, erkundigte sich Wells, was ihm ein Lachen rund um den Tisch einbrachte. »Auf jeden Fall riecht es danach.«
Gaffan setzte sich wieder. »Vermutlich sollte ich mir nach dem Essen die Zähne putzen«, meinte er kleinlaut. »Jedenfalls sieht Abdullah wieder ängstlich aus, als wollte er sagen: ›Verdammt. Das ist kein Scherz. Der Schwarze spricht
wirklich meine Sprache. Aber damit nicht genug, er spricht sie auch besser als ich.‹ Er sah aus, als hätte man ihm sein Lieblingskamel gestohlen.« Gaffan schob in übertriebener Trauer die Unterlippe vor. Mittlerweile lachten alle rund um den Tisch, und auch Wells lachte heftiger und heftiger, während lange aufgestaute Gefühle aus ihm hervorbrachen.
»Der Knaller ist, dass der gute Abdullah etwa zehn Minuten später dem Captain gegenüber zu plaudern begann und nicht wieder aufhörte. Richtig?«
Hughley nickte. »Er war letztes Jahr unsere beste Informationsquelle.«
In Begleitung von zwei Apache-Kampfhubschraubern wandten sich die Black Hawks nach Osten und tauchten ab, sobald sie die Basis hinter sich gelassen hatten. Als sie wieder in die Horizontale gingen, waren sie nur noch siebzig Meter über Grund, tief genug, dass Wells den Staub sehen konnte, den eine alte Rostlaube aufwirbelte, die auf einer zweispurigen Straße von der Basis wegfuhr. Wenn sie tief flogen, waren sie für raketenbetriebene Granaten und Boden-Luft-Raketen schwerer zu treffen.
Im Süden endete die Straße an einem gewaltigen Müllberg, einem dreißig Meter hohen Monument für die Armut Afghanistans. Obwohl auf dem Müllberg kein Feuer zu sehen war, trieb ein Schleier aus schwarzem Rauch über den Müll hinweg. Als der Black Hawk mitten durch die tiefschwarzen Nasenlöcher aus Rauch flog, erfüllte der Gestank von Abfällen die Kabine. Frauen und Kinder stapften über den glosenden Müll auf der Suche nach Fetzen, Altmetall oder sonst etwas, das sie gegen ein Abendessen eintauschen könnten.
Auf einem Feld in der Nähe spielten dürre Jungen mit
einem selbst gemachten Ball Fußball. Wells sah einen Angriff, noch bevor die Spieler ihn einleiteten. Ein Junge in einem zerschlissenen blauen T-Shirt schlich sich hinter einen Verteidiger, um einen Pass aus dem Mittelfeld zu erwarten …
Ehe Wells sehen konnte, was danach geschah, lag das Spiel schon wieder hinter ihm. Die Black Hawks flogen mit einer Geschwindigkeit von 240 km/h. In Übereinstimmung mit seinem neuen Optimismus stellte sich Wells vor, dass der Junge ein Tor geschossen hatte. Vielleicht sollte er sich ein paar Selbsthilfebücher kaufen. Die Macht positiven Denkens – und des ersten Schusses.
Vor dem Hubschrauber tauchte nun das furchterregende Massiv des Hindukusch auf. Die selbst im Sommer noch schneebedeckten Gipfel erstreckten sich Hunderte Kilometer weit in nordöstlicher Richtung. In der Nähe der Grenze zwischen Afghanistan und China erreichten die Berge eine Höhe von mehr als sechstausend Metern. In dieser Gegend waren sie etwa
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