John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
zu kopflastig für die Feldarbeit. Betrachten Sie das als Kompliment.«
Zu kopflastig. Die Worte waren nun beinahe zwanzig Jahre alt, und dennoch hörte sie der Maulwurf so klar, als sähe er Abrams in dieser Nacht neben sich anstatt Janice. Er errötete bei der Erinnerung. Sie waren in Abrams makellosem Büro auf der Couch gesessen, die er immer für seine »informellen« Gespräche verwendete. Wohin der Maulwurf auch blickte, überall sah er Fotos von Abrams oder Bill Casey, dem früheren Direktor, eine Legende im Direktorat der Operationsabteilung. Abrams hatte sich nicht die Mühe gemacht, ein Foto von William Webster aufzuhängen – Caseys Nachfolger -, als wollte er jeden Besucher wissen lassen, dass er immer noch da sein würde, wenn Webster längst
Vergangenheit wäre. Der Maulwurf warf einen Blick auf seine Uhr: 3:15. Plötzlich war er durstig. Weil er wusste, dass ihm dieses Gespräch bevorstand, hatte er auf seinen üblichen Mittags-Scotch-mit-Soda verzichtet. Jetzt wünschte er, er hätte einen Doppelten getrunken.
»Geht es um diesen Zwischenfall?«, fragte der Maulwurf.
»Den Zwischenfall?«, hatte Abrams glatt und eiskalt wiederholt. Der Maulwurf konzentrierte sich darauf, Abrams’ Blick standzuhalten. Schon als Kind war ihm Blickkontakt schwergefallen. Immer wieder hatte ihn seine Mutter aufgefordert: »Sieh mir in die Augen. Sei kein Schwächling.« Durch ihre Worte war es ihm nur noch schwerer gefallen. Aber er wusste, dass sie recht hatte. So übte er, Lehrer, Freunde und sogar Fremde in der Bar anzusehen. Er redete sich ein, dass sie nicht echt seien, dass er nur fernsähe. Dadurch konnte er heute sogar dem Teufel persönlich in die Augen sehen. Er hob den Kopf und sah Abrams direkt an.
»Den Zwischenfall?«, fuhr Abrams fort. »Sie meinen, als Sie sich betranken und der Frau des italienischen Botschafters einen Antrag machten?«
»Sie wollten wohl sagen, seiner Tochter.« Noch während der Maulwurf die Worte hervorstieß, erkannte er, dass sich Abrams absichtlich versprochen hatte, um ihm eine Falle zu stellen.
»Richtig«, sagte Abrams, wobei er das Wort in die Länge zog. »Seiner Tochter. Sie war sechzehn, richtig?« Sie sah nicht wie sechzehn aus, dachte der Maulwurf. Zumindest nicht in diesem Kleid. Und vielleicht hatte er einige Whiskeys zu viel, na und? Die CIA, und das Direktorat der Operationsabteilung im Speziellen, war voll von schweren Trinkern. In Stationen wie Rom oder Hongkong, wo kaum je
etwas passierte, war es praktisch notwendig, sich schon mittags einen zu genehmigen.
Aber jeder Versuch, die Sache zu rechtfertigen, würde sie nur noch schlimmer machen. Das wusste der Maulwurf. Abrams war es ohnehin einerlei. Er genoss den Augenblick und die Gelegenheit, dem Maulwurf unmissverständlich klarzumachen, was für ein Reinfall er als Führungsoffizier gewesen war. Am liebsten hätte sich der Maulwurf vorgebeugt und Abrams die Finger um den Hals gelegt.
»Auf jeden Fall sind wir der Meinung, dass Sie in Langley besser aufgehoben sind«, sagte Abrams in seiner zum Wahnsinn reizenden Stimme, »als direkt an der Front.«
So war er nach Langley zurückgekehrt, wo er nie dem entkommen konnte, was in Hongkong geschehen war. Andere Führungsoffiziere fetteten ihre Spesenkonten auf, stahlen Geld aus der Handkasse und trieben es mit den Sekretärinnen. Die Komik seines Vergehens stellte sicher, dass es nie vergessen wurde. Er war zu einer wandelnden Zielscheibe für Spott geworden, zu einem Schulbeispiel für eine ganze Generation von Führungsoffizieren. Was auch immer ihr tut, macht euch nicht an die Tochter des Botschafters heran. Er hatte die Situation noch verschlimmert, indem er sich Faulenzern wie Joe Gleeson nicht gebeugt hatte. Er hatte nie gelernt, den richtigen Leuten in den Hintern zu kriechen. Oder wie man Golf spielte. Was war er doch für ein Dummkopf. Er hatte angenommen, dass in der Central Intelligence Agency Intelligenz etwas zählte.
Allmählich hob sich die Stimmung des Maulwurfs wieder. Na und? Golf konnte ihm gestohlen bleiben. Ohne auch nur einen einzigen Sonntag damit zu vergeuden, einem kleinen weißen Ball hinterherzujagen, hatte er sie alle geschlagen. Allein
am heutigen Tag hatte er fünfundsiebzigtausend Dollar verdient. Für Joe Gleeson war das nach Abzug der Steuern ein volles Jahresgehalt. Für ihn war es ein nettes Zubrot.
Plötzlich wusste er, was er mit diesem Bonus tun würde. Die Corvette. Er lächelte in der Dunkelheit. Ein 67er Sting
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