John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
schob sich an eine Wand und zog sich langsam hoch. Bevor er aufrecht stehen konnte, stieß er mit dem Helm gegen die Decke. Sofort
jagte der Ruck schmerzhaft über seinen Hals in die verletzte Schulter. Der Durchgang war niedriger geworden. Die Decke hing hier tiefer, kaum eineinhalb Meter über dem Boden. Wells fragte sich, wie niedrig der Gang noch werden würde.
An die Wand gelehnt, versuchte er, sich zu orientieren. Wenn er in die Richtung blickte, aus der er gekommen war, konnte er einen schwachen Lichtschein erkennen – oder besser gesagt, eine hellere Nuance von Schwarz. Die Außenwelt war maximal zweihundert Meter entfernt, auch wenn es ihm weiter erschien. Wells’ Puls beschleunigte sich. Während seiner Collegezeit hatte er sich an zwei Höhlenerforschungen beteiligt. Aber das waren Nachmittagsausflüge in die White Mountains gewesen, mit einem halben Dutzend Freunden und einem Führer, und keine Exkursionen mitten ins Herz der Dunkelheit.
Sei nicht so dramatisch, sagte sich Wells. Wenn er Licht bräuchte, hätte er seine Stirnlampe und zusätzlich eine Taschenlampe – eine winzige Maglite, die an seinem Gürtel hing. Er schloss die Augen und dachte an die Zeit, als er im College als Linebacker gespielt hatte. Er hatte die Augen des Quarterbacks beobachtet und gewusst, wohin der Ball gehen würde, noch ehe es der Empfänger wusste. Er hatte dann einfach den fehlgeleiteten Pass abgefangen und ohne besonderen Einsatz das Spiel umgekehrt. Und während all die kräftigen Männer des anderen Teams versuchten, den Kurs zu wechseln, und der Sturm in die verkehrte Richtung ging, rannte Wells an der Seitenlinie in die Endzone. Sechsmal in vier Jahren hatte er einen abgefangenen Ball in einen Touchdown verwandelt. Als Wells wieder die Augen öffnete, war sein Herz wieder zu seinem üblichen Puls von achtundvierzig Schlägen pro Minute zurückgekehrt. Seine
Angst war verflogen, und er wusste, dass er von nun an so lange wie nötig ruhig bleiben würde.
Ein Gutes hatte diese Höhle. Vermutlich konnte man sich in ihr gut orientieren. Denn die Männer, die sie verwendeten, benötigten sie als Unterschlupf und nicht als Quelle von Überraschungen. Die gefährlichsten Durchgänge sollten durch Mauern verschlossen sein. Und weil Wells wusste, dass es vermutlich zu einem unterirdischen Kampf kommen würde, hatte er sich mit zwei Spezialstiften ausgestattet. Einer markierte Gestein mit einer fluoreszierenden Flüssigkeit, die im Dunklen auf mehrere hundert Meter sichtbar war. Und der andere glühte sichtbar, wenn man ihn mit einer speziellen ultravioletten Lampe bestrahlte, die Wells bei sich trug. Sollte der Stollen kompliziert werden, würde Wells die beiden Stifte verwenden, um seinen Rückweg zu markieren.
Zusätzlich zu den Stiften hatte er einige Leuchtstäbe bei sich und zwei hochwirksame Blendgranaten, deren vorrangige Aufgabe es war, den Gegner zu betäuben und nicht zu töten. Die Blendgranaten waren eine verstärkte Version jener Granaten, die die Polizei verwendete, und besaßen gegenüber den hochexplosiven Standardgranaten zwei wesentliche Vorteile. Sie erzeugten weniger Schrapnell und würden auch nicht die Decke des Tunnels zum Einsturz bringen, sodass Wells im Berg gefangen wäre.
Wells hatte auch einen ausziehbaren Titanstab bei sich, der mit Gummi überzogen war und als eine Art Blindenstock für den Höhlenforscher diente. Auf die traditionelle Ausrüstung eines Höhlenforschers wie Klettergürtel und Tau hatte er verzichtet. Er hatte schon vorab beschlossen umzukehren, sobald er einen Abschnitt erreichte, den er nicht mit den Händen bewältigen könnte.
Die Luft in der Höhle war kühl, beinahe feuchtkalt und überraschend frisch. Das Tränengas war verschwunden. Der Gang musste über Ventilationsschächte mit der Oberfläche verbunden sein, dachte Wells. Aus der Ferne hörte man schwach, dass irgendwo Wasser plätscherte – eine unterirdische Quelle. Luft, Wasser … wenn sie hier unten auch noch Nahrung lagerten, konnten sich die Kämpfer unendlich lange in diesen Tunnels verbergen. Solange sie nicht verrückt wurden.
In einiger Entfernung hörte Wells ein abgehacktes Husten, das wie eine stotternde Maschine immer wieder begann und endete. Das Geräusch eines Mannes, der hin und her gerissen wurde zwischen der Notwendigkeit, still zu sein, und dem noch mächtigeren Instinkt, jedes Molekül des Tränengases aus seinen Lungen zu entfernen. Das Husten hielt noch einige Sekunden an und hörte
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