John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
kurz bevor er nach Afghanistan gegangen war, um sich in die Al-Quaida einzuschleusen. Aber Wells sah seinen Sohn Evan nur ein paarmal im Jahr. In dieser Sache hatte er auch wenig zu sagen. Heather, der die alleinige Obsorge für Evan zugesprochen worden war, hatte wieder geheiratet und lebte
in Montana. Sie sagte, dass Evan seinen Stiefvater als seinen richtigen Vater anerkannt habe, und dass sie den Jungen nicht verwirren wolle, indem er zu viel Zeit mit Wells verbringe.
Vielleicht würde Wells durch ein weiteres Kind zur Ruhe kommen, dachte Exley. Vielleicht aber auch nicht. Es gab so viele Tage, an denen er mit der Welt nicht klarkam und Exley an einen kaum gezähmten Wachhund erinnerte – halb deutscher Schäfer, halb Wolf. Aber selbst in seinen schlimmsten Zeiten ging Wells liebevoll mit ihren Kindern um und war auch zu Kindern im Allgemeinen liebevoll. Die Kinder wiederum liebten ihn wegen seiner Größe und Stärke. Welcher Vater würde er einem eigenen Jungen sein? Aus irgendeinem Grund wusste Exley, dass sie und Wells einen Jungen bekommen würden. Auch wenn in Wirklichkeit ihre Chancen schlecht standen, überhaupt schwanger zu werden.
Nachdem Kellie Jonah eine frische weiße Windel umgebunden hatte, streichelte sie beruhigend sein Gesicht. »Alles wieder in Ordnung«, sagte sie. »Schon bald bist du ein großer Junge und brauchst keine Windel mehr.«
»Keine Windel!«, rief Jonah glücklich.
Kellie sah seitwärts zu Exley hinüber. »Was machen Sie, Joanne?«
»Ich? Ich bin Consulter.« Das Wort Consulter war vage genug, sodass es alles bedeuten konnte, und gleichzeitig langweilig genug, sodass niemand nachfragte.
»Ich war Anwältin«, sagte Kellie. »Dann wachte ich eines Tages auf und war dies hier.«
»Das machen Sie großartig.«
»Sobald die Kleine in den Kindergarten geht, werde ich wieder in meinen Beruf zurückkehren. Selbstverständlich will Eddie – das ist mein Mann – noch ein Kind, aber ich
habe ihm gesagt, wenn er nicht eine Methode findet, um selbst schwanger zu werden, wird nichts daraus. Kommen Sie hinunter, wir wollen Kaffee trinken.«
»Ich wünschte, ich hätte eine Weile zu Hause bleiben können«, log Exley. »Allerdings fanden wir keine Möglichkeit, wie wir uns das hätten leisten können. Ist Ihr Mann auch Anwalt?«
»Nein. Er arbeitet für die Regierung. Aber wir sparten, solange ich noch arbeitete, und gehen ziemlich sorgfältig mit dem um, was wir haben. Wie ist es mit Ihrem?«
»Mit meinem Mann? Er arbeitet auch für die Regierung. Nicht weit von hier. Vielleicht sind sie ja im selben Geschäft.«
»Es klingt ganz danach.« CIA-Frauen spielten gern darauf an, dass ihre Männer in Langley arbeiteten. Das bewies nur, dass die Agency ihren geheimnisvollen Nimbus noch nicht ganz verloren hatte, vermutete Exley.
Kellie zog Jonahs Hose hoch. Jetzt, wo er keine volle Windel mehr hatte, benahm er sich ziemlich gut, dachte Exley. Außerdem war er entzückend. »Du kleiner Liebling«, sagte sie zu ihm, »was ist dir denn das Liebste auf der Welt?«
»Hockey! Hockey spielen!« Jonah griff nach einem Miniaturhockeyschläger und schlug auf den Boden. »Hockey spielen.«
»Eddie hat ihm auch schon beigebracht, wie man eisläuft.«
»Er kann eislaufen?« Exley war ehrlich erstaunt.
»Hockey spielen, Hockey spielen …«
»Sie würden sich wundern.« Kellie griff nach der Hand des Jungen. »Jonah, komm mit uns hinunter in die Küche. Du kannst auch dort spielen.«
»Darf ich Saft haben?«
»Natürlich, mein Schatz.«
Gemeinsam gingen sie in das Erdgeschoss hinunter, das mit Fotos übersät war, die Kellie und Edmund in den Flitterwochen auf Hawaii zeigten, Kellie, Edmund und Jonah auf der Eisbahn – mit Helm, Stock und Eislaufschuhen sah der Junge wirklich entzückend aus … Edmund Cerys war nicht der Maulwurf, dachte Exley. Nicht einmal ein Oscarpreisträger hätte den Blick vortäuschen können, mit dem er seine Frau auf diesen Fotos ansah. Er hatte sich bei einem Spiel der Redskins betrunken und hatte wegen Urinierens auf dem Parkplatz eine Strafe bekommen, aber er spionierte weder für die Chinesen noch für sonst jemanden. Eins zu null für ihn.
Sie setzte sich in die Küche, um zu hören, was ihr Kellie über die Nachbarschaft erzählen würde. Dann läutete das Mobiltelefon in ihrer Tasche. Wells.
»Hi«, sagte er. »Ich muss dich um einen Gefallen bitten. Kannst du nach New York kommen? Heute?«
21
East Hampton, New York
Am Mittwochmorgen um 2:50
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