John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
vorgehen. Ich werde mich in Langley umsehen, Doktor spielen und abwarten, was ich dabei zum Vorschein bringe.«
»Und ich?«
»Warum sprechen Sie nicht mit den Frauen?«
Und so hatte sich Exley an diesem Morgen ihren Ehering an den Finger gesteckt und sich auf eine Rundfahrt durch die Vororte von Virginia und Maryland vorbereitet. Zunächst nahm sie sich die fünf Namen vor, die auf beiden Listen standen. Selbstverständlich konnte sie nicht wissen, wie viele Frauen zu Hause sein würden, aber sie vermutete, doch ein paar anzutreffen. Und wenn sie behauptete, ein Haus zu suchen, würde sie gewiss Zutritt zu ihren Häusern bekommen. Es war erstaunlich, wie offen gelangweilte Frauen mit freundlichen Fremden plauderten.
Bei ihrem ersten Halt in Fairfax war niemand zu Hause gewesen. Aber diesmal würde sie einen Treffer landen, wenn der Jetta in der Auffahrt ein Hinweis war. Sie parkte ihren grünen Caravan an der Bordsteinkante und sprang aus dem Wagen.
Ein mit Steinplatten belegter Pfad führte durch den säuberlich gemähten Rasen. Rosenbüsche verliehen dem gelben Haus zusätzlich Farbe. Nachdem sie über ein verbeultes Dreirad gestiegen war, drückte sie auf die Klingel. Im Inneren des Hauses hörte sie ein Kleinkind weinen.
»Ich komme.« Eine Frau öffnete die Tür einen Spalt breit und spähte heraus. Sie war hübsch, Ende dreißig und trug
ein Baby auf der Hüfte. »Mom, Mom, Mom!«, schrie ein Junge aus dem oberen Stockwerk.
»Hi«, sagte sie freundlich und vorsichtig zugleich. Dies war die klassische Vorortkombination, um herauszufinden, ob Exley eine Zeugin Jehowas, eine Avon-Beraterin oder bloß eine Nachbarin war. Die Leute zogen nach Vienna, um sich keine Sorgen mehr zu machen über Fremde, die an ihre Türen klopften.
»Tut mir leid, dass ich Sie störe«, sagte Exley. »Mein Name ist Joanne.« Sie hatte ein Pseudonym gewählt für den Fall, dass die Frau ihrem Mann von diesem Besuch erzählte. »Ich habe mir das Kolonialhaus weiter oben auf diesem Häuserblock angesehen und gehofft, etwas mehr über die Wohngegend herauszufinden. Und dann habe ich Ihren Wagen in der Einfahrt gesehen.«
Die Frau sah sie unsicher an. »Ich habe geglaubt, dass sie schon ein Angebot akzeptiert haben.«
»Sie zeigen das Haus immer noch her.«
»Mommy, komm her!«, brüllte der unsichtbare Junge.
»Nun … wenn es Ihnen nichts ausmacht, mir beim Windelwechseln zuzusehen, gebe ich Ihnen gern einen kurzen Überblick. Übrigens, mein Name ist Kellie.« Die Frau streckte ihr die Hand entgegen. Offenbar freut sie sich über ein wenig Gesellschaft, dachte Exley.
»Schön, Sie kennenzulernen.«
»Ein hübscher Kerl«, sagte Exley über den blauäugigen kleinen Jungen mit den roten Backen, der sich an dem Sicherheitsgitter festhielt, das die Treppe versperrte.
»Nicht wahr? Er heißt Jonah. Aber er hat einiges an Temperament.« Sie hob ihn hoch. »Komm schon, J. Keine Tränen mehr. Wir bringen dich schon in Ordnung.«
»In dem Alter weinen alle«, sagte Exley. »Ich habe selbst zwei. Glauben Sie mir, sie wachsen darüber hinweg.«
Exley beobachtete, wie Kellie in Jonahs Zimmer dem Jungen die Windel wechselte, während sie mit der anderen Hand das Baby beruhigte. Bereits jetzt wusste Exley, dass diese Frau die Aufgaben einer Mutter in einer Weise meisterte, wie sie es nie geschafft hatte. Sie konnte sich nie erklären, warum sie zehn Minuten benötigte, um eine Windel zu wechseln, aber so war es. Auch wenn sie keinen Augenblick daran zweifelte, dass sie für ihre Kinder eine Kugel abfangen würde, musste sie sich eingestehen, dass sie nicht aus dem richtigen Holz geschnitzt war, um ihnen den ganzen Tag hinterherzulaufen, ihnen die Nase zu putzen und ihnen Jausenbrote für die Schule zu machen.
Viele Frauen liebten diesen Teil des Mutterdaseins oder sagten es zumindest. Vielleicht hatten sie recht. Vielleicht waren diese Aufgaben grundlegend, um eine lebenslange Beziehung zu Kindern aufzubauen. Aber Exley konnte sich selbst nicht belügen. Nach vier Monaten Mutterschaftsurlaub war sie nur allzu gern bereit gewesen, wieder an die Arbeit zu gehen, so sehr sehnte sie sich danach.
Während sie zusah, wie Kellie Jonahs Po putzte und ihm eine saubere Windel gab, fragte sie sich, ob sie es anders machen könnte, wenn sie noch eine Chance bekommen würde. Sie und Wells? Sie wusste nicht, ob sie sich Wells als Vater vorstellen konnte, obwohl er bereits Vater war. Er hatte einen Sohn mit seiner Exfrau Heather bekommen,
Weitere Kostenlose Bücher