John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
seiner Nachbarn hatte Kowalski sein Anwesen nicht nur mit Hecken und Alarmanlagen geschützt. Anstelle eines Tores blockierte ein schwarzer Cadillac Escalade ständig die Auffahrt. Mit eingeschalteten Lichtern und laufendem Motor. Zwei Männer, die nie lächelten,
beobachteten von den Vordersitzen aus die Straße. Wenn Anna oder ihre Freunde kamen oder gingen, schoben die Männer mit dem Escalade zurück, um die Einfahrt zum Anwesen freizugeben. Sobald die Auffahrt wieder unbenutzt war, stellten sie den Wagen wieder auf den früheren Platz. Nichts und niemand konnte sie umgehen.
Dass Wells keine Videoüberwachungsanlage auf dem Anwesen gesehen hatte, war die gute Nachricht. In den Hamptons waren Kameras eine Seltenheit. Milliardäre konnten es nicht ausstehen, beobachtet zu werden, nicht einmal von ihren eigenen Wächtern. Aber ob mit oder ohne Kameras müsste Wells die beiden Männer erschießen, wenn es ihm nicht gelänge, sie auf andere Weise aus der Einfahrt zu locken. Und er wollte es vermeiden, sie zu töten, sowohl aus praktischen Überlegungen als auch aus persönlichen Gründen. Kowalski war ein mächtiger Mann mit mächtigen Freunden. Wenn jemand seine Männer erschoss, würde es Untersuchungen geben, was Wells gern verhindern wollte. Und obwohl Kowalski in einem mehr als hässlichen Geschäft tätig war, wollte Wells heute Nacht weder Richter, noch Geschworener, noch Henker spielen.
Wenn es ihm gelänge, die Probleme am Eingang zu lösen, würde die Sache klappen. Im Haus selbst würden um diese Uhrzeit nur wenige Wächter wach sein. Sie waren vermutlich gelangweilt, tranken Kaffee und hatten Mühe, die Augen offen zu halten. Wie sehr sie sich auch anstrengten, wachsam zu sein, würden sie es kaum vermeiden können, nachlässig zu werden. East Hampton war nicht gerade Bagdad. Sollte wirklich etwas schieflaufen, durften sie normalerweise auf die Unterstützung der örtlichen Polizei hoffen. Allerdings hatte Wells dafür gesorgt, dass die Polizei nicht ins Spiel käme.
Kurz vor der Kreuzung der Further Lane mit der Two Mile Hollow hielt Wells am Straßenrand, klappte den Ständer aus und legte eine zerdrückte Coladose unter den Ständer, sodass er nicht in der Erde versinken und die Honda umkippen würde.
Aus dem Minivan holte er das Mountainbike, das er zwei Tage zuvor gekauft hatte. Neben der CB1000 wirkte das Fahrrad fast wie ein Spielzeug. Aber das Rad hatte gegenüber dem Motorrad einen großen Vorteil. Es war lautlos. Wells nahm den Helm ab und zog eine schwarze Maske über das Gesicht.
»Du willst es also immer noch tun?«, erkundigte er sich. »Wir müssen es nicht …«
»Ach bitte. Was ist leichter für die heißeste Single-Tante der Welt, als sich nach ein paar Drinks in East Hampton zu verfahren?«
Exley entkorkte eine Flasche Bowle, nahm einen Schluck und spritzte ein paar Tropfen auf ihre Bluse, bei der sie bereits zwei Knöpfe geöffnet hatte, sodass man genug von ihrem schwarzen Spitzen-BH sah, der im Hinblick auf ihre Brüste wenig der Fantasie überließ.
»Das sollte sie ausreichend ablenken«, sagte sie. »Nur eine weitere überalterte, besoffene Mieze, die nach Liebe sucht.«
»Jennifer. Sei vorsichtig. Wenn irgendetwas schiefläuft, will ich, dass du verschwindest …«
Aber sie fuhr bereits davon.
Er verstand Exley nicht vollständig. Vermutlich würde er das auch nie tun. Einerseits war er sicher, dass sie ihre Kinder innig liebte, andererseits war sie bereit, ihr Leben zu riskieren, um ihm zu helfen. Tat sie es für ihn? Liebte sie das Abenteuer? War es von beidem etwas? Wells wünschte, er wüsste es.
Exley bog nach rechts in die Two Mile Hollow ein, die zum Ozean führte. Am Nachmittag hatte sie sich noch im Zug von Washington gefragt, ob sie Wells absagen hätte sollen. Dann erinnerte sie sich an den Tag, als Wells das Taliban-Lager angegriffen hatte. Dieser Nachmittag war gekommen und wieder vergangen ohne ein einziges Wort. Mit aller Sicherheit hatte sie gewusst, dass etwas Schreckliches passiert war, die Kugel eines Scharfschützen, ein Hubschrauberabsturz. Dann war sie allmählich zu der Ansicht gekommen, dass sie durch ihre Vorhersage Wells’ Tod verursacht hatte und dass er immer noch am Leben wäre, wenn sie mehr Vertrauen bewiesen hätte.
In jener Nacht war sie zum Multiplex bei der Union Station gegangen. Sie hatte in mehrere Kinosäle hineingeschaut, ohne auch nur vorzugeben, dass sie sich den Film ansah. Sie wollte bloß, dass die Minuten vergingen,
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