John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
lang ging alles gut, bis ich am Straßenrand einen Müllsack sah. Ich dachte … Eigentlich dachte ich gar nichts. Ich scherte einfach nach links aus, weil das für mich ein Sprengsatz war.« Sanchez sah nach unten, wo sein Bein hätte sein sollen. »Ich war wieder da drüben. Nicht einfach so in meiner Vorstellung, sondern wirklich. Fast hätte ich einen Toyota erwischt, mit einer Frau am Steuer und zwei Kindern auf dem Rücksitz.«
»Hast du aber nicht«, stellte Stewart fest.
»Nein, hab ich nicht. Aber am schlimmsten war meine Reaktion, als ich sah, was ich angerichtet hatte. Ich war so wütend auf das Mädchen in dem Toyota, dass ich fast einen Herzanfall hatte. Mein Kopf … Ich wollte …« Sanchez verstummte. Im Licht der Leuchtstoffröhren glänzte Schweiß auf seiner Stirn. Im Raum wurde es still, während die anderen warteten, dass er sagte, was er zu sagen hatte. Diese Männer waren das Warten gewöhnt.
»Ich bin nur froh, dass meine Waffe im Schrank eingeschlossen ist«, sagte Sanchez schließlich. »Wenn ich sie im Gürtel stecken hätte, wäre auf der Straße der Teufel los.«
Die Gruppe traf sich jede Woche in einer Kirche im Stadtzentrum von Silver Spring. Die Central Maryland Iraq and Afghanistan Veterans Group, ein großer Name für eine schlichte Organisation. Zu den Treffen kamen normalerweise zwölf bis zwanzig Leute, davon ein halbes Dutzend regelmäßig. Hier konnten sie über die Dinge reden, von denen sie ihren Ehefrauen oder Freundinnen nichts sagen wollten, Dinge, die nur andere Soldaten verstehen konnten. Und es gab viel zu sagen, fand John Wells.
Die meisten Soldaten kehrten ohne größere Blessuren aus dem Irak und Afghanistan zurück. An die zehntausend Männer und Frauen waren jedoch so schwer verletzt, dass sie komplizierte Operationen über sich ergehen lassen mussten. Andere wurden von hartnäckigen Erinnerungen verfolgt - an Freunde, die von einer Bombe zerfetzt worden waren, oder an irrtümlich bei einem Angriff getötete Zivilisten. Die Verletzungen an ihrer Seele waren von außen nicht notwendigerweise erkennbar. Manchmal rissen die Amputierten Witze darüber, dass ihr
Engagement zumindest für alle offensichtlich war. Sie mussten sich nicht dafür entschuldigen, wenn sie einen schlechten Tag hatten.
»Danke, Freddie«, sagte Stewart. »Unsere Stunde ist fast um, wir müssen den Raum zurückgeben. Aber vorher …«
Er wandte sich an Wells. »Jim, du warst schon ein paarmal hier, aber du sagst nicht viel. Möchtest du dir was von der Seele reden?«
Wells schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht.« Um kein Aufsehen zu erregen, verwendete er bei den Treffen einen falschen Namen. Sein richtiger Name war in ganz Amerika bekannt, seit er zwei Jahre zuvor einen Terroranschlag auf New York verhindert hatte, aber nur wenige Menschen kannten sein Gesicht. Es war der CIA gelungen zu verhindern, dass Fotos von ihm in Umlauf gerieten, obwohl im Internet noch ein paar alte Bilder herumschwirrten.
Stewart beugte sich vor und bedachte Wells mit einem täuschend milden Lächeln. »Darf ich fragen, wo du gedient hast, Jim? Als Reservist? Bei der Nationalgarde? Für den aktiven Dienst kommst du mir ein bisschen alt vor.«
»Wenn es euch nichts ausmacht, möchte ich lieber nichts dazu sagen.«
Stewart zog seinen Stuhl ein paar Zentimeter näher an Wells heran. Ein paar Männer aus der Kerngruppe beugten sich vor.
Das ist geplant, dachte Wells.
»So einfach kommst du mir nicht davon, Jim. Wir können keine Leute brauchen, die nicht an der Front waren.« Das Lächeln war verflogen. »Wir wollen keine Buchhalter, die sich bei uns einschleichen, damit sie bei den
Singlepartys im Marriott was zu erzählen haben. So was kann nämlich ziemlichen Schaden anrichten.«
»Mich hat noch keiner einen Buchhalter genannt«, erwiderte Wells. Er überlegte, wie er bei der Wahrheit bleiben konnte, ohne allzu viel zu verraten. »In den neunziger Jahren war ich Ranger. Das könnt ihr mir glauben.«
»Damals gab es keinen Krieg.«
»Aber ich kenne den Krieg.«
»Warst du im Irak?«
»In Afghanistan.« Wells erwähnte nicht, dass er sowohl für die Taliban als auch für die Vereinigten Staaten gekämpft hatte. »Hör mal, Sergeant, die Gruppe tut mir gut, aber ich verstehe euch. Wenn ihr mir nicht traut, komme ich nicht mehr.«
»Sag uns was«, drängte Stewart. »Damit wir wissen, dass du einer von uns bist.«
Also gut, dachte Wells. Wenn ihr unbedingt wollt …
»Ich werde euch von einem Traum
Weitere Kostenlose Bücher