John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
jetzt?«, fragte Wells. »Ich meine, Ellis und ich.«
»Ich habe nichts Konkretes für Sie. Halten Sie sich bereit, das ist alles.«
»Stets zu Diensten«, sagte Shafer.
»John …« Duto stockte. »Ich weiß die Antwort bereits, aber Sie kennen diese Leute besser als jeder andere. Falls sie wirklich eine Bombe haben, würden sie sie benutzen?«
Wells dachte an den Hass auf die Vereinigten Staaten, den er in seinen Jahren in den Bergen erlebt hatte. Hass, der sich aus der Religion speiste und aus der bitteren Wahrheit, dass die Amerikaner so viel hatten und die
Menschen in Afghanistan und Pakistan so wenig. Die Wut hatte sich noch gesteigert, seit die Amerikaner im Irak einmarschiert waren. Allzu viele heilige Krieger brannten darauf zu sterben, sich Sprengstoffgürtel umzuschnallen und sich selbst in die Luft zu jagen. Sie töteten ihre Gegner einzeln, zu mehreren und, wenn sie Glück hatten, zu Dutzenden.
»Die größte Hürde ist der Selbstmord«, sagte Wells. »Wenn man sich einmal zu diesem Schritt entschlossen hat, kann man genauso gut so viele Menschen mitnehmen wie möglich.« Wells hätte fast gelacht, aber er beherrschte sich. »Ob sie die Bombe benutzen würden? Wie Sie selbst sagen, die Antwort kennen Sie schon.«
So hatte sich Wells das nicht vorgestellt. Das Treffen mit Duto war einigermaßen glimpflich verlaufen, dafür kam er an Exley nicht heran. Als sie in jener Nacht aus Langley wegfuhren, dachte er, Shafer würde ihn nach Hause bringen. Stattdessen nahm Ellis ihn mit zu sich.
»Danke für das Angebot, Ellis, aber ich schlafe lieber bei Jenny.«
»Sie will dich nicht sehen.«
»Wenn du mich nicht fährst, nehme ich mir ein Taxi.«
»Gib ihr Zeit, John. Sie hat dich angefleht, die Sache auf sich beruhen zu lassen und bei ihr zu bleiben, aber du bist trotzdem geflogen.« Shafer legte eine Pause ein. »Ich weiß, was du vorhast. Du willst nach Hause, ihr sagen, dass du sie liebst, dass alles wieder in Ordnung kommt. Aber glaub mir, was auch immer du ihr erzählst, bedeutet ihr im Augenblick gar nichts. Du sollst beweisen, dass du ihr zuhören kannst.«
»Das tue ich …«
»Dann hör zu. Sie will, dass du wegbleibst.«
»Aber …« Wells klappte den Mund zu. Gegen Shafers Logik kam er nicht an. »Für wie lange?«
»Vermutlich ist es einfacher, wenn sie ihre Rehabehandlung abgeschlossen hat«, meinte Shafer. »Ich rede in ein oder zwei Tagen mit ihr. Glaub mir, es ist das Beste so.«
Und so verbrachte Wells die Nacht in Shafers Keller, bevor er sich in ein anonymes Fluchthaus in Vienna, Virginia, zurückzog. Wie bei allen Fluchthäusern fehlte jede persönliche Note. Mit den weißen Wänden, den billigen Holzstühlen und den unvermeidlichen, schwarz gerahmten Manet-Drucken sah es aus wie ein Fegefeuer für Immobilienmakler. Shafer fragte, ob er Personenschutz wolle, aber Wells lehnte ab. Für den Augenblick hatte er genug von Bewaffneten.
Im Keller entdeckte er dann doch zwei nützliche Einrichtungsgegenstände: ein Laufband und ein Fitnessgerät für den Muskelaufbau. Wells trainierte jeden Tag drei Stunden, um die überflüssigen Pfunde loszuwerden, die er sich für Russland angefuttert hatte, und möglichst jede Spur der misslungenen Mission zu beseitigen. Eine Woche lang fragte er Shafer jeden Tag, ob Exley bereit sei, ihn zu sehen. Eine Woche lang sagte Shafer jeden Tag nein. Jeden Abend saß Wells neben dem Telefon und zwang sich, nicht anzurufen. Viermal wählte er ihre Handynummer bis auf die letzte Stelle, bevor er auflegte, und fühlte sich dabei so einsam und dumm wie der Klassenstreber, der sich hoffnungslos in das schönste Mädchen der Schule verliebt hat.
Wenn er nachts allein im Haus saß, fragte er sich, ob er Exley ebenso verlieren würde wie alle Freunde und Angehörigen bisher. Heather, seine Exfrau, die wieder geheiratet
hatte. Evan, seinen Sohn, den er seit über zehn Jahren nicht gesehen hatte. Er suchte sogar über Google nach ihnen, in der Hoffnung, irgendwelche Fragmente über ihr Leben im Internet zu finden, und fragte sich, ob er nach Montana fahren und versuchen sollte, seinen Jungen zu sehen. Aber er hatte schon einmal versucht, Heather und Evan zu besuchen, und das war schlecht ausgegangen. Im Augenblick war Exley alles, was er hatte. Falls er sie noch hatte.
Unterdessen ging die Suche nach den Farsadows weiter, doch vergeblich. Die Agency und ihre europäischen Gegenstücke gingen davon aus, dass die Farsadows irgendwann auftauchen mussten, um das
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