John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
geben.
»Nicht viel los«, sagte Wells laut.
»Vielleicht doch.«
»Wie das?«
»Das soll dir Duto sagen.«
Als sie den Beltway erreichten, bog Shafer zu Wells’ Überraschung nicht nach Osten ab, wo es zur Interstate 295 ging, der Einfallstraße ins Stadtgebiet von Washington, zu Exley. Stattdessen fuhr er nach Westen, auf den Highway nach Langley. Es war fast Mitternacht, und auf den beinahe leeren Straßen kamen sie gut voran. Nach kaum einer Viertelstunde fuhren sie über die lange, flache Brücke über den Potomac und bogen auf die Georgetown Pike.
»Um diese Zeit?«, fragte Wells.
»Duto will dich sprechen.«
»Seit wann arbeitet er rund um die Uhr? Und seit wann bist du sein Laufbursche?« Wells wollte Exley sehen, nicht Vinny Duto.
»Bringen wir es hinter uns.«
Kurz nach Mitternacht betraten sie Dutos Büro, einen quadratischen Raum mit einem schweren Holzschreibtisch und Ausblick über den Campus von Langley. Die getönten, kugelsicheren Fensterscheiben waren aus dreischichtigem Sicherheitsglas, aber die Einrichtung mit dem Mahagonischreibtisch und den massigen braunen Ledersesseln hätte im Büro jedes Spitzenmanagers stehen können. Wells fragte sich, ob Duto das Dekor absichtlich gewählt hatte, um an die von den Protestanten britischer Herkunft, den WASPs, geprägte CIA-Tradition - den Ivy-League-Mythos der fünfziger Jahre - anzuknüpfen, als
die halbe Agency in Yale studiert zu haben schien. Duto selbst hatte innerhalb von drei Jahren an der University of Minnesota ein Geschichtsstudium abgeschlossen. Merkwürdigerweise hatte Wells als Einziger im Raum eine Ivy-League-Universität besucht; Shafer hatte am Massachusetts Institute of Technology studiert.
Dem Schreibtisch gegenüber stand ein Bücherregal aus Holz mit Werken der Militärgeschichte der letzten Jahrtausende, von Der peloponnesische Krieg von Thukydides bis zu den neuesten Werken über den Irakkrieg. Deren Titel stimmten nicht gerade hoffnungsfroh: Fiasco, Imperial Life in the Emerald City, Generation Kill … Die Bücher standen ein wenig durcheinander, als hätte Duto sie tatsächlich gelesen. Wells war überrascht. Intellektuelle Neugier hätte er bei Duto am allerwenigsten vermutet.
»John.« Duto, der in einer schwarzgeränderten Akte las, sah weder auf, noch reichte er Wells die Hand.
Wells setzte sich. »Comandante Duto.«
Duto lächelte nicht. Er notierte sich etwas auf einem gelben Block und klappte die Akte zu.
»Ich weiß, was Sie denken«, begann Duto. »Sie denken: ›Soll er mich ruhig um Mitternacht ins Büro zitieren, mich anbrüllen, mir eine Strafpredigt halten, wirklich anhaben kann er mir sowieso nichts. Nach dem, was ich geleistet habe, kann mir keiner mehr was.‹ Aber das ist ein Irrtum. Sie loszuwerden wäre bestimmt kein Zuckerschlecken, doch es ist machbar.« Dutos Stimme verriet keinerlei Emotionen.
»Vinny …«, sagte Shafer.
»Das geht nur mich und Wells an. Wenn Ihnen das nicht gefällt: Sie wissen, wo die Tür ist«, unterbrach ihn Duto, ohne den Blick von Wells zu wenden. »Damit wir
uns richtig verstehen, John: Falls die Ereignisse von Moskau bekannt werden, müssen Sie gehen. Wir werden Sie schützen, wir werden überall herumerzählen, Sie hätten eine Posttraumatische Belastungsstörung und wären durchgedreht. Vielleicht stimmt das ja sogar. Wir werden dafür sorgen, dass Sie nie vor Gericht gestellt werden. Es wäre eine echte Tragödie, John Wells, den Helden vom Times Square, zu verlieren. Aber das ist alles. Ein Mann, der soeben drei Russen ermordet hat, darf nicht auf der Gehaltsliste der amerikanischen Regierung stehen.«
»Klingt, als wäre der Austausch von Höflichkeiten beendet«, bemerkte Wells.
»Und sofern Sie die Sache überhaupt bis zu Ende gedacht haben, was vermutlich nicht der Fall ist, weil das nun wirklich nicht Ihre Stärke ist, glauben Sie wahrscheinlich, Sie kommen schon irgendwie zurecht, selbst wenn wir Sie feuern. Weil Sie immer irgendwie zurechtgekommen sind. Aber überlegen Sie mal, was Sie ohne diesen Job tun würden. Sich als Söldner verdingen? Vielleicht Stuntman werden?«
»Stuntman«, sagte Wells. Der Gedanke gefiel ihm irgendwie.
»Oder doch Söldner? Können Sie sich vorstellen, Leibwächter eines mexikanischen Milliardärs zu werden?«
»Vielleicht gehe ich in Montana angeln.«
»Machen Sie sich doch nichts vor. Sie wollen nicht aufhören. Der Zug ist endgültig abgefahren.«
Dutos vertraulicher Ton missfiel Wells. »Seit wann kennen wir
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