John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
Sie. Dies ist der Grund, warum ich noch hier bin.«
Duto reichte Wells eine dünne rote Mappe mit schwarzem Rand. Sie enthielt nur sechs Seiten, aber als Wells sie gelesen hatte, wurde ihm klar, warum Duto Überstunden machte.
Vor einigen Wochen hatte das russische Verteidigungsministerium einen NATO-Verbindungsoffizier darüber informiert, dass aus der Kernwaffenanlage Majak fünfhundert Gramm hoch angereichertes Uran verschwunden waren. Verdächtigt wurden Grigorij und Tajid Farsadow, zwei Cousins aus Ozersk. Fotos und Kurzbiografie der beiden waren beigefügt. Die Russen glaubten nicht an eine unmittelbare Bedrohung und baten die NATO, den Diebstahl nicht öffentlich zu machen, drängten die Vereinigten Staaten und Europa jedoch zu verstärkten Sicherheitskontrollen an Häfen und Grenzübergängen.
Routinemäßig hatte die NATO den Bericht an das Zentrum für terroristische Bedrohungen, eine gemeinsame Arbeitsgruppe von FBI und CIA mit Basis in Langley, weitergeleitet. Das Zentrum hatte den Bericht als mittlere bis hohe Priorität eingestuft. Russisches Nuklearmaterial kam regelmäßig abhanden, und fünfhundert Gramm waren bei weitem nicht genug, um eine Kernwaffe zu bauen. Außerdem eignete sich angereichertes Uran im Gegensatz zu Plutonium nicht für schmutzige Bomben. Dennoch war allein die Tatsache, dass die Russen den Vorfall gemeldet hatten, ungewöhnlich. »Steckt mehr dahinter?«, hatte ein CIA-Analyst geschrieben.
Eine berechtigte Frage. Vor sechsunddreißig Stunden hatten die Russen der NATO ein »Update« zu dem Diebstahl in Tscheljabinsk geliefert. Plötzlich hatte sich die Menge des fehlenden Materials von fünfhundert Gramm auf fünf Kilo erhöht.
»Das wolltest du mit deiner Bemerkung vorhin im Auto andeuten?«, fragte Wells Shafer.
Shafer nickte. »Die wichtigsten Tatsachen kenne ich seit heute Morgen, aber keine Details.«
Wells gab ihm die Akte. »Wie konnte das passieren? Ist den Russen eine Null durch die Lappen gegangen?«
»Wir wissen es einfach nicht«, erwiderte Duto. »Ist Ihnen in Moskau irgendwas Ungewöhnliches aufgefallen, das mit dieser Sache zu tun haben könnte?«
»In der Moskauer Stadtmitte gab es jede Menge Kontrollen. Ich bin mehrfach angehalten worden, aber ich dachte, das läge an meinem Bart und meiner Hautfarbe. Vielleicht hatte es ja was mit dieser Sache zu tun. Einer der Männer, die mich aufgehalten haben, hatte einen Strahlungsmesser, einen zum Anklipsen, der wie ein Pager aussieht.« Wells überlegte. »Wer weiß noch davon?«
»Alle europäischen Behörden. Seit zwei Tagen überprüfen wir und sie alle Spuren, Überweisungen, Humints« - Human Intelligence, Informanten - »Nachrichtenforen und Bankkonten in unseren Datenbanken. Bisher hat keiner was gefunden. Nirgends. Keine Erwähnung von nuklearem Material, keine ungewöhnlichen Transaktionen, keine Hinweise, dass irgendwas erwartet wird.«
»Das erinnert mich an Khadri«, meinte Wells. »Der hat auch absolut dichtgehalten.«
Shafer hatte fertig gelesen und gab Duto die Akte zurück. »Das ist der ganze Bericht? Unzensiert?«
»Das ist alles«, bestätigte Duto.
»Und wieso gibt es keine Zahlen zum Grad der Anreicherung? Sind es achtzig Prozent? Neunzig? Fünfundneunzig?«
»Die Russen äußern sich nicht dazu.«
»Haben wir gefragt?«, erkundigte sich Shafer.
»Natürlich. Mehr kriegen wir nicht aus ihnen heraus. Angeblich wegen der operativen Sicherheit. Sie glauben, die Farsadows halten sich nicht mehr in Russland auf,
und das wird wohl stimmen. Wenn einen der FSB einmal ins Visier genommen hat, gibt es da drüben nicht viele Orte, an denen man sich verstecken kann.«
»Haben diese Leute Verbindungen zum Terrorismus? Oder zur russischen Mafia?«
»Dazu sagt der FSB nichts.«
»Religion?«
»Tajid ist praktizierender Muslim, aber Grigorij scheint mit Religion nicht viel am Hut zu haben.« Duto sah Wells an. »Was ist mit Ihnen, John? Irgendwelche Fragen?«
»Reicht das fehlende Material für eine Bombe?«
»Los Alamos meint, nein«, erwiderte Duto. »Angeblich braucht man für eine Bombe mindestens fünfzehn bis zwanzig Kilo HEU. Und auch nur mit modernstem Werkzeug. Terroristen würden noch mehr benötigen.«
»Das klingt halbwegs beruhigend«, sagte Wells. »Außer diese Burschen haben nicht fünf, sondern fünfzig Kilo gestohlen. Meinen Sie, der Kreml würde uns warnen, wenn es sich um eine unmittelbare Bedrohung handelt?«
»Das hoffen wir.« Duto wirkte skeptisch.
»Und was tun wir
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