JoJo Und Ich
auf, wie einsam sie wirkten, wenn sie ihre Kreise zogen; wahrscheinlich waren sie auf der Suche nach der Schule, zu der sie einmal gehört hatten. Wenn JoJo einer von diesen dreien war, konnte es für seine Trennung vom Rest der Schule eine Erklärung geben, die mit Ereignissen der jüngsten Vergangenheit zu tun hatte.
Gegen Ende der Siebzigerjahre wurde der schmale Durchlass zwischen Providenciales und einer kleinen Nachbarinsel durch einen Hurrikan mit Sandmassen versperrt. Die Delfine, die diesen Wasserweg gern als Wechsel zwischen der Flach- und der Tiefwasserseite der Inseln genutzt hatten, fanden diesen Weg danach blockiert und strandeten, als die Ebbe kam. Ein paar Inselbewohner versuchten die Tiere mit Bettlaken über die Barriere zu tragen, hatten damit aber wenig Erfolg; nur ein paar Jungtiere überlebten. Drei kleine Kälber waren die Ersten, die nach der Katastrophe wieder in Strandnähe auftauchten, und JoJo hatte vermutlich dazugehört.
Inzwischen war er hier offenbar der Letzte. Ob er immer noch nach seinen Gefährten suchte?
»Wo sind deine Freunde, JoJo?«, fragte ich ihn. »Sind sie etwa ohne dich weggeschwommen?«
Ich empfand großes Mitgefühl mit dem einsamen Delfin. In einer liebevollen Familie war ich als mittleres von fünf Kindern auf einem großen Anwesen mit vielen Tieren aufgewachsen. Bei uns gab es drei Enten, fünf Gänse, Hunderte Kaninchen, mindestens fünf Hühner, vier Katzen, drei Pferde, drei Hunde und eine Ziege – ich habe mich schon immer allem Lebendigen verbunden gefühlt. Wir hatten einen Wasserfall und einen Teich mit Unmengen von Fischen und ein paar Fröschen, und im Haus gab es außer den Katzen noch Papageien, Hamster und Meerschweinchen. Not leidenden Tieren stand unser Haus jederzeit offen.
Und so wusste ich bereits sehr früh, dass meine Lebensaufgabe darin bestand, mich für den Tierschutz einzusetzen. Ich freute mich schon darauf, dies eines Tages auch meinen eigenen Kindern vermitteln zu können. Im Grunde aber ging es um mehr als bloßes Kümmern und Versorgen. Ein sterbendes Tier in der Hand zu halten und es zu segnen war anfangs herzzerreißend, aber als ich den Weg des Übergangs und den Frieden dann zu sehen und zu spüren begann, war ich eigentlich nur noch dankbar. Manchmal begleitete ich diese Tiere eine ganze Weile auf ihrem spirituellen Weg. Ich spürte das Schwinden des körperlichen Lebens, den letzten Atemzug, ich sah die Augen brechen, und dann konnte ich mit ihnen ins Licht gehen, während ich sie hielt und zugleich in den Frieden, in andere Dimensionen entließ. Ich war als Buddhist und Rosenkreuzer erzogen worden, und unsere Eltern hatten uns Kindern nicht nur beigebracht, dass der Tod Bestandteil des Lebens ist, sondern sie nahmen uns auch jede Woche in die Gotteshäuser anderer Glaubensgemeinschaften mit. So haben wir viel über die Reise des Lebens und sein Vergehen gelernt. Wir lernten zu erkennen, wann es für ein Tier Zeit war zu gehen und wie man es darin achtet und sein Leben ebenso segnet wie die neue Reise, zu der es nun aufbricht. Aber auch mit Menschen Mitgefühl zu haben lernten wir von unseren Eltern.
Ich erinnere mich noch gut, dass mir als Bub manchmal andere Kinder auffielen, Schlüsselkinder, misshandelte Jungen und Mädchen oder Ausreißer, und dass es mich immer sehr traurig machte, sie zu sehen. In ihrem Blick lag etwas so Verlorenes, dass ich Mama oft anbettelte, sie mit nach Hause nehmen zu dürfen, und dann wartete ich mit großen Augen, bis sie ja sagte. Als ich JoJo jetzt sah, wie er so ganz allein dahinschwamm, ohne seine Schule, ohne auch nur einen einzigen Gefährten, kamen diese Gefühle wieder hoch, und am liebsten hätte ich auch ihn mit nach Hause gebracht wie die Kinder damals. Wie gern hätte ich ihm dieses Gefühl der Zugehörigkeit und bedingungslosen Liebe gegeben, das ich immer hatte. So aber blieben wir in seiner ozeanischen Heimat und schwammen gemeinsam.
Eines Nachmittags fragte ich Lisa, während wir unsere Tauchausrüstungen für den Unterricht zusammenpackten: »Sag mal, weißt du eigentlich etwas über die kleinen Delfine, die hier früher im Trio herumgeschwommen sind?«
»Kann sein«, sagte sie und legte den Kopf schief. »Ich habe von einem Jungen in Pine Cay gehört, der einen kleinen Delfin harpuniert haben soll. Er hat wohl gemeint, es sei einfach ein großer Fisch.«
»So ein Jammer«, sagte ich. »Hoffentlich hat er wirklich nicht gewusst, dass es ein Delfin war.« Wäre ich doch bloß
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