JoJo Und Ich
mir, die in der Forschung tätig waren und mein Interesse an diesem Phänomen kannten, teilten mir mit, dass sie dieses Verhalten inzwischen auch selbst beobachtet und dokumentiert hatten. Kurz, es stellte sich heraus, dass das Hochwürgen großer unverdaulicher Knochenreste bei Delfinen vollkommen normal war.
Am Telefon sagte Nelio jetzt: »Weltweit werde ich der erste Wissenschaftler sein, der Nahrungsreste eines wild lebenden Delfins analysiert.« Ich sah ihn förmlich strahlen. »Es wäre gut, wenn Sie mit weiteren Proben herkommen könnten, damit wir die Sache gemeinsam weiterverfolgen können.«
So machte ich mich im Juni dieses Jahres mit zwei weiteren Behältern gesammelter Nahrungsreste auf den Weg nach Miami. Als ich Nelios Büro betrat, fielen mir gleich die Gläser mit Mageninhalt von gestrandeten toten Delfinen ins Auge. Es war auch ein großer Behälter mit lauter Mangrovenzweigen dabei. Wenn man all diese Dinge im Magen von toten Delfinen gefunden hatte, überlegte ich, waren sie womöglich die Todesursache und ließen deshalb keinen Rückschluss auf die normale Ernährung von Delfinen zu.
Die Reste aus JoJos Magen waren anscheinend die ersten, die je von einem lebendigen Delfin mit natürlicher Ernährungsweise gewonnen wurden.
Ich hatte JoJo bisher nur selten systematisch jagen sehen. Normalerweise nahm er einfach Gelegenheiten wahr, die sich von selbst boten. Bei einem seiner seltenen gezielten Beutezüge hatte er mich und meine Freunde Leslie und Toni sogar als »Treiber« eingespannt. Bei unseren gemeinsamen Ausflügen im Meer schwammen wir normalerweise zu viert (inklusive JoJo) in einer Reihe nebeneinander. Als JoJo bei einer dieser Gelegenheiten eine kleine Schule von Fischen entdeckte, begann er uns so zu umrunden, dass er die Tiere in unsere Richtung trieb. Sobald sie uns wahrnahmen, versuchten sie nach einer Seite auszubrechen, und in dem Augenblick schoss JoJo heran, um sich zwei auf einmal zu schnappen. Das alles spielte sich wenige Zentimeter vor unseren Gesichtern ab, und JoJos Wendigkeit bot ein wirklich sehenswertes Schauspiel. Die kleinste Fehleinschätzung seinerseits hätte für uns höchst unangenehme Folgen haben können, aber JoJo war derart treffsicher, dass es weder bei dieser Treibjagd noch bei einer späteren je auch nur zur leisesten Berührung kam.
Bei solchen Jagden pflegte sich dieser Vorgang etliche Male zu wiederholen, und JoJo verschlang dabei vierzig oder mehr Fische. Ich habe dieses Verhalten nicht sehr oft bei ihm beobachtet, aber den Meeresbiologen ist diese Art zu jagen als normales Verhalten von in Gruppen lebenden wilden Delfinen bekannt. Als von einem einzeln lebenden Delfin geleitete Tier-Mensch-Kooperation war es freilich noch nie beschrieben worden.
Offenbar konnte sich JoJo auch ganz auf sich allein gestellt ausreichend ernähren; vielleicht hat er das Jagen in der Gruppe sogar erst durch Zufall gelernt – im Zusammenleben mit uns Menschen. Natürlich kann es sich auch um ein angeborenes Instinktverhalten aller Delfine handeln. Jedenfalls konnte er es meiner Einschätzung nach kaum von anderen Delfinen gelernt haben; als ihn das Schicksal zum Einzelgänger machte, war er wahrscheinlich noch zu jung dafür. Zum Gelegenheitsräuber, der er überwiegend geblieben ist, wird er wohl nach der Trennung von der Familie geworden sein. Und ich war für mich zu dem Schluss gekommen, dass seine Magenspülungen ganz normal und kein Symptom irgendeiner Krankheit waren.
Was er aber alles unternahm, um die Nahrung überhaupt erst einmal in seinen Bauch zu bekommen, ist durchaus erzählenswert.
Eine seiner besonders ausgekochten Taktiken war ein stetes Ärgernis für die Fischer, deren Boote vor dem Strand ankerten und die es gern sahen, wenn sie dort auch blieben.
Ich nahm meinen Freund ins Gebet. »Hör mal, JoJo«, sagte ich mit strengem Blick, »ich weiß ja, dass du Anker unwiderstehlich findest und es liebst, sie aus dem Sand zu ziehen, aber musst du sie dann unbedingt so hinlegen, dass sie nicht mehr halten und die Boote sie mit sich schleifen? Sieh dir das an: überall treibende Boote. Was, wenn die Leute dahinterkommen, dass du dafür verantwortlich bist?« Mich schauderte beim Gedanken an mögliche Racheakte der Fischer.
Wenn wir zusammen schwammen, machte JoJo gern bei Ankern halt und versuchte, sie zu kippen und aus dem Sand zu ziehen. Einmal sah ich ihn so lange an einem Ankerseil zerren, bis sich der Anker hob. Normalerweise trieb das Boot dann nur
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