JoJo Und Ich
und er habe Verdauungsbeschwerden. Bei näherer Betrachtung erwiesen sich die Knochen jedoch als blitzblank und die Gewebefetzen waren reinweiß.
Trotzdem, aufs Brot würde man so etwas nicht haben wollen.
»JoJo, hast du heute einen falschen Fisch erwischt?«, fragte ich und versuchte mir nicht vorzustellen, wie diese Delfinkotze wohl an der Luft riechen würde.
Zweierlei bewog mich, etwas davon einzusammeln: Erstens war über das Ernährungsverhalten frei lebender Delfine noch wenig bekannt, und zweitens dachte ich, dass JoJo womöglich eine Unverträglichkeit gegenüber bestimmten Fischarten hatte.
Ich trug immer eine Tasche an der Seite, die ein flaches Rahmensieb und ein paar kleine Behälter enthielt. Doch wann immer ich eine Probe des Erbrochenen nehmen wollte, traf ich erst ein, wenn die Knochen bereits im Sand versunken waren. Schließlich gelang es mir aber doch, mich gleich vor JoJo zu platzieren, sobald ich sah, dass er sich mit Wasser volllaufen ließ. Danach würgte er ein paar Mal, und ich konnte einen Teil der Produktion mit dem Sieb auffangen. Diese Prozedur schien sein Interesse zu wecken, was meine Forschungsarbeit im weiteren Verlauf entschieden vereinfachte. Er fand die Sache offenbar so spannend, dass er gezielt auf das hingehaltene Sieb kotzte, um mir dann beim Einsammeln der Knochen zuzuschauen.
Ich rief etliche Delfintrainer an, um sie über dieses Hochwürgen auszufragen, aber leider hatte es noch keiner von ihnen bei seinen Tieren beobachtet, jedenfalls nicht als normales Verhalten. Ich überlegte, dass in Gefangenschaft lebende Delfine sicher nicht das breite Nahrungsangebot hatten, das mei nem Freund zur Verfügung stand. Demnach war es durchaus möglich, dass dieses Verhalten noch gar nicht beobachtet worden war oder nicht erforscht wurde, weil solche Untersuchungen an wilden Delfinen sehr schwierig waren. Aber ich wusste immer noch nicht, ob JoJos Hochwürgen von Nahrungsüberresten unbedenklich war oder auf eine Erkrankung hindeutete.
Nun ist so etwas ja von Hunden und Katzen bekannt, die eigens Gras fressen, um ihren Magen zu reinigen. Aber JoJo war kein Kätzchen, sondern ein Delfin. Zunächst einmal konnte ich jetzt die Knochen und Gräten untersuchen lassen, um festzustellen, ob die Fische, die er fraß, überhaupt auf dem üblichen Ernährungsplan von Großen Tümmlern standen.
Ich schickte die gesammelten Proben an ein Labor in Miami. Und sammelte weiter und schickte auch weiterhin Proben ein, bis ich eines Tages einen Brief von einem Wissenschaftler namens Nelio Barros bekam, in dem er mich bat, ihn anzurufen. Nelio war Doktorand an der Rosenstiel School of Marine and Atmospheric Science und hatte das Nahrungsverhalten und die Nahrungsökologie Großer Tümmler anhand des Mageninhalts gestrandeter Exemplare erforscht.
Ich hatte bei diesem Anruf kaum Zeit mich vorzustellen, als er mich auch schon mit Fragen bombardierte.
»Sind Sie sicher, dass Ihre Proben alle von ein und demselben Delfin sind?«, fragte er als Erstes. »Wenn das nämlich so wäre, würde ich wirklich gern wissen, wie Sie einem einzigen Delfinkadaver solche Mengen an verschiedensten nicht verwesten Überresten entnehmen können.«
»Wie meinen Sie das?«, entgegnete ich verwirrt. »Mit Delfinkadavern habe ich eigentlich nichts zu tun.«
»Aber an den Mageninhalt kommt man doch nur, wenn die Tiere gestrandet und tot sind«, sagte er. »Und wenn Ihre Proben nicht aus Kadavern stammen, woher haben Sie sie dann?«
»Von meinem Freund JoJo, einem frei lebenden Großen Tümmler.«
Das konnte Nelio zuerst gar nicht glauben. Aber damit stand er nicht allein. Kaum jemand glaubt diese Geschichte, bevor er mich und JoJo mit eigenen Augen gesehen hat. Erst als ich ihm unsere Beziehung genau auseinandergelegt und auch beschrie ben hatte, wie ich an die Proben gekommen war, sah er ein, dass ich ihm keinen Bären aufbinden wollte. Entsprechend änderte sich sein Tonfall.
»Das ist ja allerhand. Ist Ihnen eigentlich klar, was das bedeutet?«
Ich gab meiner Hoffnung Ausdruck: »Dass Sie ermitteln werden, ob sich JoJo normal ernährt. Und herausfinden, ob er gesund ist.«
»O nein, Mr. Bernal, hier geht es um sehr viel mehr.«
»Ach so?«
»Ja. Ich bin mit meiner Arbeit nicht weitergekommen. Über das Auswürgen von Unverdaulichem bei Delfinen war nichts zu finden.«
Es sollte noch viele Jahre dauern, bis es der Forschung gelang, das Hochwürgen von Nahrung bei wild lebenden Delfinen nachzuweisen. Freunde von
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