JoJo Und Ich
der Junge sei unser Kälbchen und ich würde ihm gerade beim Atmen helfen, wie es unter Delfinen üblich ist. Dieser Ablauf – halten, loslassen und wieder halten – war JoJo sehr vertraut, denn genauso war es damals für ihn gewesen, als ich ihn das erste Mal retten musste. In immer enger werdenden Kreisen schwamm er um Emily, Sean und mich herum, bis wir ganz dicht beieinander standen.
Emily schüttelte die ganze Zeit über staunend den Kopf, dann kam dieses so charakteristische Beben der Nasenflügel, das Tränen ankündigte. Sie schnüffelte, und schon glänzten ihre Augen wie Glas im Sand. Auch mich ließ Seans Freude nicht unberührt.
Es war der erste von vielen »Blasenring-Augenblicken«, die ich JoJo verdanke. Wie doch sein Delfingeist uns alle umfing!
* * *
Ein paar Wochen später hatte ich bei meinem nachmittäglichen Schwimmausflug mit JoJo Lust, über die Sandbänke mit ihren monotonen weißen Landschaften hinauszuschwimmen, als ich bemerkte, dass er zur Seite hin die Gegend mit seinen Ortungslauten abtastete. Es sind hohe Echolottöne, die parallel zum Meeresboden ausgesendet werden, wobei sich der Kopf hin und her bewegt. Auf einmal tauchte ein Torpedobarsch auf und verschwand im Sand. JoJo verfolgte ihn dabei mit Ortungssignalen und stieß den Schnabel plötzlich tief in den Sand. Er zog einen stattlichen Barsch heraus und zeigte ihn mir kurz, bevor er ihn verschlang.
»Aha«, rief ich, »jetzt weiß ich endlich, was es mit deinen Bohrungen neulich auf sich hatte. Ganz schön schlau! Aber mir war ja schon immer klar, dass an dir mehr dran ist als bloß dein hübsches Gesicht.«
Dieses Ortungsverhalten wiederholte sich später in einem Gebiet mit einigen Riffgebilden, in dem die Sicht weniger gut war. Hinter einem größeren Korallengewächs schien er irgendetwas aufgetrieben zu haben, und ich nahm an, dass es sich wohl um einen weiteren Torpedobarsch handelte. Schnell schwamm ich ganz nah heran und spähte in die Sandwolke, die er aufgerührt hatte, und … au weia, diesmal war es kein Torpedobarsch, sondern ein knapp zwei Meter langer Bullenhai, den er auf die wohlbekannte Art gestellt hatte. Beim Anblick des tobenden Hais, der mit allen Mitteln zu entkommen versuchte, schnürte sich mir dann doch die Kehle zu. Mit der enormen Kraft seiner Schwanzflosse drückte JoJo den Fisch zu Boden, der aber wehrte sich energisch, und wenige Augenblicke später war vor lauter Sandwolken überhaupt nichts mehr zu sehen. Ich wusste, dass JoJo den Hai irgendwann würde loslassen müssen, um zum Atmen aufzutauchen, aber da wollte ich dann nicht mehr unbedingt dabei sein.
Haie gehen Unannehmlichkeiten im Allgemeinen lieber aus dem Weg und meiden Menschen, wann immer es möglich ist, diesen aber hatte JoJo so richtig in Rage gebracht, indem er ihn einfach nicht wegschwimmen ließ. Und je länger der Delfin ihn drangsalierte, desto mulmiger wurde mir. Was ich daran merkte, dass ich beinahe das Mundstück meines Schnorchels abgebissen hätte.
Erinnerungen an Dinge, die ich nicht noch einmal erleben wollte, schossen mir durch den Kopf. Zum Beispiel die beißfreudige Muräne in Mexiko, die sich ausgerechnet in mein Gesicht verbeißen musste. Geblieben war mir davon eine Narbe an der Wange, die wie die Lippenstiftkontur eines Kussmundes aussieht. Aber auf der anderen Seite brauchte ich nicht unbedingt auch noch eine.
Mir war klar: Wenn JoJo zum Atmen auftauchte, würde der Hai erst so richtig loslegen. Also sah ich mich von der Oberfläche aus genau um und war jeden Moment auf den Angriff gefasst. Ich ballte die Fäuste, um sie dem Hai zwischen die Augen zu donnern, sollte er auf mich losgehen. JoJo tauchte nur kurz auf und schon war seine Schwanzflosse wieder im trüben Wasser verschwunden. Ich tauchte ihm nach und sah, wie er den Hai mehrmals mit dem Schnabel auf den Boden knallte. Als sich der Fisch einmal sehr heftig wand, hatte ich plötzlich ein klaffendes Maul voller Zähne unmittelbar vor mir.
Schlagartig fiel mir die Muräne wieder ein. Für einen Sekundenbruchteil erstarrte ich und war nicht einmal zu einer Abwehrbewegung fähig. Es blieb auch keine Zeit, mich mit Drohgebärden zum Verfolger des Hais aufzubauen. Wo also würde die Narbe diesmal sitzen? Sofern es überhaupt noch zu einer kommen sollte …
Rechts von mir wischte etwas vorbei, Wasser wirbelte auf. Weißer Schaum nahm mir die Sicht. Komm schon, Dean, unternimm etwas! Ich warf mich nach links. Ich hob eine Faust. Ich schlug zu und traf nur
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