JoJo Und Ich
Wenn etwas die Beziehung stört, hält das nicht lange vor – nicht so lange jedenfalls wie bei Menschen, die ja sehr nachtragend sein können. Bei Tieren, die zu Vergeltungsmaßnahmen in der Lage sind, kann es allerdings schwieriger und sogar riskant sein. Was ich mir aber vor allem wünsche, ist, dass wir Menschen endlich aufhören, nachtragend und rachsüchtig zu sein, egal, wie sehr wir uns im Recht fühlen.
Leider blieben unsere Bemühungen erfolglos. Die Animositäten zwischen den beiden, die sich über einen so langen Zeitraum aufgebaut hatten, legten sich nicht. Das Ganze endete schließlich damit, dass Maria die Insel verließ.
Ich hatte den Eindruck, dass es da um viel mehr ging als um die bloße Vergeltung für ein paar Schläge mit dem Wasserski. Irgendwie schien JoJo Maria für alle Boots- und Wasserskiunfälle bestrafen zu wollen, in die er je verwickelt war. Auch unter Menschen ist es ja nicht ungewöhnlich, dass man auf Unschuldige losgeht, wenn man nur genügend unter Druck steht. Vielleicht besitzt ein Delfin also mehr menschliche Züge, als wir gemeinhin annehmen.
In der einzigen Sprache, die ihm zu Gebote stand, schrie JoJo im Grunde: »Hör auf, mir wehzutun! Lass mich endlich in Frieden leben!«
Die Sache mit Maria verriet mir viel über JoJos Persönlichkeit und sein Erinnerungsvermögen: Er vergaß es nicht, wenn man sich mit ihm anlegte. Aber, überlegte ich weiter, wenn schon ein einzelner wilder Delfin in der Lage ist, Vergeltung zu üben, könnte dann nicht irgendwann der Zeitpunkt kommen, an dem alle Meeressäugetiere endgültig genug haben von den zahllosen Misshandlungen durch den Menschen?
Was, wenn sie ein genetisch fixiertes Gedächtnis für alle Übergriffe des Menschen besäßen? Illegaler Fang, unnötige Grausamkeit, bloßes Nützlichkeitsdenken. Falls ja, dann kann ich nur hoffen, dass ihnen auch all die Gelegenheiten in Erinnerung bleiben, in denen Menschen alles daransetzen, gestrandete Meeressäuger wieder flottzumachen, Delfine aus Fangnetzen zu befreien und die Öffentlichkeit für die Leiden der Tiere zu sensibilisieren.
»JoJo«, sagte ich laut, obwohl ich allein war, »ich hoffe, du erzählst deinen Freunden, dass viele von uns auf eurer Seite stehen.«
* * *
Wieder einmal war JoJo mit einer Blessur gesichtet worden. Auf einer Körperseite hatte sich bei ihm ein baseballgroßer Knoten gebildet, wahrscheinlich ein Infektionsherd. JoJo war zuvor drei Tage nicht mehr in der Gegend von Grace Bay gesehen worden, und in dieser Zeit musste der Knoten entstanden sein. Bei unserem gemeinsamen Schwimmen wirkte der Delfin irgendwie gedämpft. Ich beobachtete ihn genau und sah, dass er in seiner Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt war. Er gestattete mir, ihn genauer zu betrachten, und neben der Schwellung entdeckte ich drei Einstiche. Ich überlegte, ob wohl vor seinem Verschwinden drei Tage zuvor etwas in seinen Körper eingedrungen sein konnte, das die Infektion ausgelöst hatte. Doch dann fiel mir ein, dass wahrscheinlich der Stachel, den JoJo seit seiner Jugend im Körper hatte, für das Problem verantwortlich war.
Es lag schon etliche Jahre zurück. Ich hatte am Strand ein paar Leute mit Netzen zusammengetrommelt. Wir wollten einen verletzten Delfin einfangen, um ihn von etwas zu befreien, was ich zunächst für eine Harpunenspitze hielt. Damals hatte JoJo noch keinen Namen und war einfach irgendein Delfin. Es gelang uns seinerzeit nicht, das Jungtier einzufangen, aber immerhin kam ich nahe genug heran, um zu erkennen, dass es sich um den Stachel eines Stechrochens und nicht um eine Harpunenspitze handelte. Damals gab es auf der Insel noch keine auf Meeressäuger spezialisierten Tierärzte oder ent sprechende Einrichtungen, und folglich bestand keine Mög lichkeit, das Tier von diesem giftigen Fremdkörper zu befreien, ohne es einzufangen. Wir mussten JoJo also wohl oder übel sich selbst überlassen. Er war jung und wild, und wir hofften, dass sein Körper den Stachel irgendwann abstoßen oder resorbieren würde. Noch ahnte niemand, welche Spätfol gen sich für JoJo daraus ergeben sollten. Problematisch begann es erst in den folgenden Jahren zu werden, als die ursprüngliche Infektion immer wieder zu Komplikationen führte.
Die Verletzungen und die Schwellung, die ich jetzt sah, stammten sehr wahrscheinlich wieder von einem Stechrochen. Und mir war klar, dass sie medizinisch behandelt werden mussten. Ich zögerte, die Stelle zu berühren, weil ich unser
Weitere Kostenlose Bücher