Joli Rouge (German Edition)
Lächeln
legte sich auf die geröteten Wangen des Olonnaisen, doch er
zögerte. Pierre bemerkte Antoines Hand, die er selbstbewusst
hob, um ihnen Einhalt zu gebieten.
»Wie könnt ihr auf die Bruderschaft trinken und dann
derart gegeneinander vorgehen?«, knurrte er. »Ich wusste
nicht, dass es einzig den Kapitänen vorbehalten ist, den
Hergang des Überfalls zu erfahren. Besagt der Kodex nicht,
dass jedem Bruder Stimmrecht in allen Angelegenheiten
gebührt? Welches Stimmrecht gesteht Ihr Eurer Mannschaft zu,
Picard?«
Der Baske lachte auf. »Bei Gott! Ich hatte den Glauben
schon beinahe aufgegeben, dass heutzutage noch jemand den
Kodex ehrt!« Er langte über den Tisch und hieb Antoine Du
Puits erfreut auf die Schulter. »Lasst uns trinken, Brüder!«
Er bedeutete Pierre und L’Olonnais, sich zu setzen, bevor
er dem Wirt ein Handzeichen gab. Pierre tat, wie ihm
geheißen, blieb jedoch wachsam. Er bemerkte die Beunruhigung
der anderen Männer. Nichts war schlimmer als Spannungen im
Vorfeld einer Kaperfahrt. Bei einer derartigen Unternehmung
war es von großer Bedeutung, dass man sich auf seine Brüder
verlassen konnte. Selbst wenn sie alle Zweifel gegenüber
François L’Olonnais hegten, war es wichtig, Einigkeit zu
demonstrieren. Der Baske allein war dafür verantwortlich,
ihn in seine Schranken zu weisen. Pierre wusste das. Dennoch
hatte er L’Olonnais offen herausgefordert und war sich
bewusst, dass der Olonnaise diesen Affront nicht ungesühnt
lassen würde. Der Wirt brachte mehr Rum.
»
Et rebelote
!
Vive les gens de la côte
«, sprachen die
Brüder, hoben ihre Becher und leerten sie.
»Wann legen wir ab?«, fragte Pierre.
»Eure Schiffe müssen in drei Tagen bereitstehen. Am
Sonntag setzen wir Segel.« Der Baske nickte ihm zu, und
Pierre neigte leicht den Kopf.
»Aye! Meine Mannschaft steht zu Euren Diensten«, versprach
er und sah dabei nur den Basken an. Dann nickte er den
anderen Kapitänen zu.
»
Vive les gens de la côte
«, murmelten sie.
Pierres Blick verharrte kurz bei Antoine Du Puits, bevor
er L’Olonnais fixierte. Die Männer verstummten, als hielte
jeder von ihnen den Atem an.
»Zu Euren Diensten«, sprach Pierre und deutete ein Nicken
an.
»
Vive les gens de la côte
«, wiederholte L’Olonnais
finster. Es war, als löse sich die Anspannung der Gruppe.
Pierre straffte die Schultern und verließ eilig den
Schankraum.
Einige Stunden später erwachte er vom heftigen Grollen
eines Gewitters. Er lag still und lauschte auf das Prasseln
des Regens, der auf das Holzhaus niederging. Cajaya schlief
dicht neben ihm. Die Schlafstätte war schmal, und für
gewöhnlich lag sie mit den Kindern darin, während Pierre die
Hängematte auf der Rückseite des Hauses nutzte. Aber an
diesem Abend war er zu ihr gekommen. Sie wies ihn niemals
ab, und er hatte es ausgenutzt. Sein Trieb war stark
gewesen, und er fragte sich, ob er ihr weh getan hatte. Ihre
nackte Haut schimmerte sanft, und als der Blitz den Raum
erhellte, warf er die Schatten der wogenden Äste vor dem
Fenster auf ihren Rücken.
Pierre wollte ihre Haut streicheln, zog die Hand aber
wieder zurück. Stattdessen stand er auf. Eine innere Unruhe
trieb ihn aus dem Bett. Bedacht stieg er über die
schlafenden Kinder und Manuel, die wie ein Rudel Welpen
ineinander verschlungen auf dem Boden lagen. Der Donner ließ
das Haus erzittern. Pierre öffnete die Tür und betrat die
Veranda. Regen schlug ihm ins Gesicht, und er strich sich
die verschwitzten Haare aus der Stirn. Der Geruch der nassen
Erde beruhigte ihn ein wenig. Sein Schlaf war erfüllt von
rätselhaften Träumen gewesen. Er versuchte, sich zu
erinnern, doch alles, was er sah, waren die Augen von
Antoine Du Puits. Ihm lief ein Schauer über den Rücken. Es
war unmöglich, dass er etwas für diesen widerlichen Kerl
empfand. Seine Regungen mussten ihm einen Streich spielen!
Er trat in den Regen und hob den Kopf zum Himmel empor. Die
Blitze zogen unruhige Bahnen am schwarzen Firmament und
hüllten die Umgebung in ein unwirkliches Licht. Pierres
Zehen gruben sich in den Schlamm unter seinen Füßen. Er war
immer noch erregt und überlegte, ob er zurück ins ‚Antre
Borgne‘ gehen sollte, um sich mit den Dirnen zu vergnügen.
Diese Augen! Er fluchte. Außer Remi hatte er bislang
ausschließlich Frauen begehrt und er fragte sich, was diese
Gefühlsregung bedeutete. Antoine war ein abstoßender Mann.
Er kam ihm vor wie ein
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