Joli Rouge (German Edition)
belügen, dann würde er die Worte aus ihr herausprügeln! Sie
verdiente eine Strafe, und es war nur gerecht, dass sie
seinen Schmerz spürte. Er hätte für sie sorgen können. Ihr
war es bestimmt, in seinem Bett zu liegen, nicht Cajaya. Er
schluckte die Schuldgefühle herunter und rannte weiter. Der
aufgestaute Groll ließ ihn das Tempo stetig steigern. Die
Bewegung war befreiend. Als er in Cayone ankam, warfen ihm
die Menschen befremdliche Blicke zu. Er war sich bewusst,
dass sie sein ungebändigtes Aussehen ängstigte, aber es
störte ihn nicht.
Zügig begab er sich zum Hafen, wo die Vorbereitungen der
sieben Schiffe in vollem Gange waren. Decks wurden
geschrubbt, Segel geflickt, Masten geschmiert und
Schwarzpulver sorgfältig neben dem Ballast verstaut. Die
Männer standen am Kai herum, lachten und schwatzten und
bedienten sich an den aufgestellten Rumfässern. Auf der
Belle Rouge
erblickte er Remi und winkte ihm zu. Wie er ihn
kannte, hatte sein Gefolgsbruder die Details der Mission
bereits von den anderen Brüdern erfahren und traf
selbstständig die ersten Maßnahmen. Sie mochten sich nicht
mehr viel zu sagen haben, aber sie waren über die Jahre ein
eingespieltes Gespann geworden. Remi erwiderte den Gruß, und
Pierre lief suchend weiter. Das Schiff von L’Olonnais lag
unübersehbar direkt am Kai. Unter dem Schatten des Poopdecks
hielt Pierre Ausschau nach Antoine Du Puits. Sein Herz
klopfte. Hier hatte er Jacquotte zum letzten Mal gesehen,
als der Totenkopf sie verletzt in den Armen gehalten hatte.
Seine Augen erfassten das rege Treiben der Männer um ihn
herum. Die Hitze des Tages nahm zu, und der Schweiß lief ihm
unangenehm über den Rücken. Mit einem Mal erspähte er das
glänzende, haarlose Haupt von Antoine. Pierre hielt den Atem
an. Mit geübten Bewegungen schnitt Antoine einen Streifen
von dem gesalzenen Fleisch herunter, das ein Schiffsjunge
auf seinen Schultern trug, schob ihn sich in den Mund und
nickte zustimmend. Erst dann balancierte der Junge mitsamt
seiner schweren Last über den wankenden Balken an Deck des
Schiffes. Antoine prüfte sogleich die nächste Ladung. Pierre
starrte ihn an. Keine seiner Bewegungen erinnerten an
Jacquotte. Er war plump, ging ein wenig gebückt und kratzte
sich bei jeder Gelegenheit am Hintern. Pierre begann an
seiner Ahnung zu zweifeln, aber er ließ Antoine nicht aus
den Augen. Nach einiger Zeit begab sich dieser zu einem der
Rumfässer, wechselte ein paar Worte mit den Umstehenden und
entfernte sich schließlich. Pierre folgte ihm unauffällig.
Antoine querte die Warenhäuser, zog an den Tavernen vorbei
und hielt auf die Klippen zu. Die Menschen um sie herum
wurden immer weniger, und Pierre ließ sich zurückfallen. Er
wollte nicht, dass Antoine ihn bemerkte. Nach einer kurzen
Biegung verlor er ihn aus den Augen. Pierre ging weiter. Der
Pfad endete unterhalb der Felsen. Pierre starrte auf die
Klippen, an deren Sockel das Meer toste. Fontänen schossen
empor, wenn die Wellen an ihnen abprallten. Er erklomm die
rutschige Wand. Auf einem Vorsprung stoben große Seekrabben
auseinander, als er mit seinen Füßen einige Steine löste,
die auf sie hinab regneten. Er lächelte. Es erinnerte ihn an
die Tage seiner Kindheit, in denen er auf der Suche nach
Verstecken stundenlang in den Felsen umhergeklettert war.
Auf einer Anhöhe hielt er inne und genoss den Blick auf
die Küste von Tierra Grande, die an diesem Tag besonders gut
zu sehen war. Klar zeichneten sich die Umrisse der Bäume
gegen den blauen Himmel ab. Pierre fühlte, wie die Welt von
der gegenüberliegenden Seite der Insel aussah. Es war, als
betrachtete er sich selbst.
Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Antoine Du Puits stand
schräg über ihm und zielte mit einer Pistole auf ihn. Pierre
ärgerte sich, dass er derart sorglos gewesen war. Reglos
verharrte er für einige Augenblicke in seiner Position. Dann
hob er die Hände.
»Ihr verfolgt mich?« Antoines Stimme war schneidend.
Pierre versuchte, eine vertraute Nuance herauszuhören,
doch er wurde enttäuscht. Bedächtig trat er aus der Deckung
der Felsen hervor. Antoine tat einen misstrauischen Schritt
zurück und spannte das Schloss. Pierre versuchte, seine
Augen zu erkennen, aber die Kette, die Antoine um den Hals
trug, blendete ihn. Es war eine goldene Taube, die zu Boden
stürzte und ihn dabei warnend anfunkelte. Vorsichtig zog er
sich am nächstgelegenen Felsen hoch, um näher
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