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Joli Rouge (German Edition)

Joli Rouge (German Edition)

Titel: Joli Rouge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fischer
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fand er ihn auf einer Klippe jenseits
des Hafens, wo er auf einer
goyave
kaute und die Kerne
lautstark ins Meer spuckte. An dem Messer, das an seiner
Hüfte hing, haftete getrocknetes Blut und ein Schwarm
grünschillernder Fliegen umkreiste es. Antoines blanker Kopf
schimmerte in der Sonne und an Armen und Beinen klebten
Sand- und Erdreste. L’Olonnais fragte sich, wo er sich
herumgetrieben hatte, aber er sprach es nicht an. Antoine
war aufbrausend. Er hasste Fragen zu seiner Person im selben
Maß, wie L’Olonnais die Spanier hasste, und L’Olonnais
akzeptierte dieses Verhalten. Aus seiner Sicht zeugte es von
einer leidenschaftlichen Gesinnung und genau solche Männer
brauchte er in seinem Leben. Erschöpft ließ er sich neben
ihn sinken. Antoine beachtete ihn nicht, sondern grunzte
lediglich zur Begrüßung.
    »Wir werden nach Maracaibo aufbrechen«, verkündete
L’Olonnais. »D’Ogeron stellt mir Moïse Vauquelin als
Vizeadmiral zur Seite. Er misstraut mir.«
    Antoine grunzte erneut. Diesmal klang es amüsiert. Nach
kurzem Schweigen sah er den Olonnaisen an. Seine Augen
blickten abweisend.
    »Was ist mit dem Basken?«, fragte er.
    L’Olonnais hob die Schultern. »Er überlässt mir das
Kommando der Schiffe. Ganz so, wie wir es besprochen haben.«
    Antoine nickte. »Er steht in deiner Schuld«, bemerkte er.
    »Aye«, bekräftigte L’Olonnais. »Ohne mich wäre er nie
dahinter gekommen, dass ihn zwei seiner ältesten Freunde
hintergingen. Einzig durch mein Handeln haben sich seine
Probleme in einer Nacht gelöst.« Er spuckte aus. »Er sollte
dankbarer sein, verflucht! Aber er behandelt mich wie ein
unmündiges Kind. Du hättest ihn auf der Versammlung sehen
sollen. Er beugt sein Haupt vor D’Ogeron und all den
anderen. Es ist widerwärtig!«
    »Er wird schwächer. Maracaibo wird dir Ansehen bringen.«
Antoine blickte wieder hinaus aufs Meer. »Was ist mit meinem
Schiff?«
    L’Olonnais starrte auf Antoines Nacken. Er wollte ihn
berühren, unterließ es aber. Keiner zückte sein Messer
schneller als Antoine, und ihm war nicht nach Streit zumute.
Noch nicht.
    »Du wirst dein Schiff erhalten«, versprach L’Olonnais. Er
wusste um Antoines Begehren. Er wollte Kapitän eines
Schiffes werden. Sobald er den nächsten spanischen
Handelsfahrer hochnahm, würde er Antoine für seine Treue
entlohnen. Ihm lag viel an der Loyalität seines
Steuermannes.
    »Die Kapitäne treffen sich morgen Abend im ‚Antre
Borgne‘«, bemerkte er und bemühte sich, nicht zu fordernd zu
klingen. »Ich möchte, dass du mich begleitest.«
    Antoines Rücken zuckte flüchtig. »
D’accord
«, sagte er.
»Der Rum ist dort so gut wie anderswo.«
    Als sich die Kapitäne einen Tag später zusammenfanden, war
die Luft dampfig. Gelbe Wolken ballten sich am Himmel, die
die letzten Sonnenstrahlen abfingen und sie sternförmig in
den blassen Abendhimmel sandten. Die Grillen überboten sich
mit ihrem Geschrei, und die Möwen waren an diesem Tag
besonders aggressiv und schossen in andauernden Sturzflügen
über die Gassen, um aufwirbelnden Unrat aufzufangen. Pierre
hatte seinen Hut tief ins Gesicht gezogen, als er mit
forschen Schritten durch Cayone ging. In der Luft hing der
Geruch von abgestandenem Wasser und den verrottenden
Überresten des Marktes. Er war dem Aufruf von Michel Le
Basque nur ungern gefolgt. Zu groß war sein Misstrauen
gegenüber L’Olonnais. Er verstand nicht, warum der Baske
nach wie vor hinter diesem Mann stand. Es war leichtsinnig,
dem Olonnaisen das Kommando über die Maracaibo Mission zu
überlassen. Seine unbedachten Handlungen konnten alle
gefährden. Was dachte sich Michel Le Basque dabei? Selbst
wenn er sich mit dem Gedanken trug, in absehbarer Zeit
zurückzutreten, konnte es nicht in seiner Absicht liegen,
dass L’Olonnais ihn beerbte. Die Kapitäne verachteten ihn.
    Pierre rieb sich die Stirn. Gab der Baske auf? Es war kein
Geheimnis, dass die Männer, die neuerdings in die Inselwelt
strömten, nicht selten von Hass getrieben waren. Auf ihr
unglückliches Schicksal, die Obrigkeiten in Europa oder
schlicht ihr eigenes Unvermögen, etwas zu verändern. Sie
kamen zu hunderten als Deserteure, politisch Verfolgte,
Verarmte oder Sträflinge und versuchten, irgendwie zu
überleben. L’Olonnais wusste sie zu lenken. Spanien war
stets ein annehmbarer Feind. Doch die Vermischung
unterschiedlicher Gesinnungen war gefährlich. Warum erkannte
das niemand?

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