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Joli Rouge (German Edition)

Joli Rouge (German Edition)

Titel: Joli Rouge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fischer
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angespannt, die Augen lauernd, eine Hand ruhte am
Waffengürtel. Er war durch und durch ein Flibustier.
    »Antoine wählte ich nach deinem Vater. Du Puits nach dem
Geburtsort von Émile, La Haye du Puits, einer Stadt in der
Normandie. Als Antoine Du Puits erzähle ich jedoch allen,
dass ich aus Nantes stamme. Von dort kam der Arzt, der mich
nach L’Olonnais‘ Überfall heilte.«
    »Ein guter Name«, befand Pierre. »Derart belanglos ist die
Vergangenheit gar nicht.« Seine Augen streiften sie kurz.
    »Was will der Baske?« Sie wollte nicht auf die Anspielung
eingehen.
    »Der Baske sucht nach Verbündeten. Ich schätze, er braucht
dich auf seiner Seite, um L’Olonnais auszuschalten. Verbünde
dich mit dem, der den Feind am besten kennt. Diese Idee hat
er von mir.« Pierre klang verbittert.
    Jacquotte sah ihn an. Sie spürte, dass er sich für ihr
Schicksal verantwortlich fühlte. Der Gedanke störte sie.
    »Die
La Poudrière
bedeutet meine Freiheit. Ich werde der
Bruderschaft den Rücken kehren.«
    »Kehrst du zum Totenkopf zurück? Ich nehme an, er ist
ebenso wenig ertrunken wie du.«
    Es war ausgesprochen. Sie hörte seinen Ärger und sah, dass
er die Arme vor der Brust verschränkte. Sie wollte ihm
sagen, dass sie ihm keine Rechenschaft schuldete, aber sie
schluckte den Vorwurf hinunter.
    »Wir verließen das Schiff noch vor seinem Untergang im
Hafenbecken. Tête-de-Mort schwamm an Land und zog mich mit
sich. Ohne seine Hilfe wäre ich gewiss ertrunken. Dann
warteten wir das Ende des Sturms ab und setzten mit einem
Fischer auf die Île de la Gonaïve über.«
    »Niemand erkannte euch?«
    »Keiner lebte lange genug, um davon zu berichten. Wir
verbargen uns mehr als ein Jahr auf der Nordseite der
Insel.«
    Sie sah, dass ihm ihre Worte missfielen. Aber er hatte
gefragt und nun musste er mit der Antwort leben.
    »Er ermutigte mich zu meiner neuen Identität, lehrte mich,
mich wie ein Mann zu bewegen und zu sprechen. Er rasierte
mir den Schädel und brachte mir bei, wie man dies jeden Tag
selber tat. Als er starb, war ich darauf vorbereitet,
zurückzukehren.«
    Ihre Blicke trafen sich, doch seine offensichtliche
Erleichterung traf sie. Schnell wandte sie den Kopf ab und
fasste nach der Kette. Die Taube um ihren Hals erinnerte sie
an den Mann, der ihr nicht den Tod, sondern das Leben
geschenkt hatte. Ihre gemeinsame Zeit war ein Geschenk, das
sie nicht zu teilen bereit war. Jacquotte stieß sich vom
Fenster ab und drehte Pierre den Rücken zu.
    »Willst du keine Rache nehmen?«, hörte sie ihn fragen und
war froh, dass er nicht weiter in sie drang.
    »Hast du von Henry Morgan gehört, Pierre? Es heißt, er
habe die Regeln des Kodex übernommen und nennt sie nun
articles of agreement
. Seine Zeit wird kommen, wenn es
soweit ist. Das, was wir Rache nennen, wird sich dann von
selbst erledigen.«
    »Ich meinte nicht nur den Basken, sondern auch
L‘Olonnais.«
    Sie starrte sein verschwommenes Spiegelbild in einer der
Glasscherben an. Wie sollte sie ihm erklären, was sie
antrieb? Er hatte ihre Beweggründe nie verstanden.
    »L‘Olonnais ist sich selbst der größte Feind.«
    Mit seinem Schulterzucken bestätigte er ihr sein
Unverständnis. »Dann wirst du für den Rest deines Lebens
Antoine Du Puits bleiben?«
    Sie drehte sich wieder zu ihm um und sagte: »Nur als Mann
kann ich so leben, wie ich es mir vorstelle.«
    Sie erwartete, dass er sich aufregte, wie es seine Art
war, aber er schwieg. Das war ungewöhnlich, und sie ertappte
sich bei dem Gedanken, dass ihr ein Streit mit ihm lieber
gewesen wäre. So kämpfte sie wortlos gegen das verstörende
Gefühl an, das sich seit seiner Ankunft in ihr ausbreitete.
Er brachte ihr zu Bewusstsein, wie sehr die letzten Jahre an
ihr gezehrt hatten. Ständig kampfbereit, bemüht, ihre
Verkleidung aufrecht zu erhalten, wachsam gegenüber
L’Olonnais, begierig nach einem eigenen Schiff und getrieben
von ihrer Suche nach Freiheit. Sie war müde und einsam. Ihr
gewähltes Leben forderte seinen Preis.
    »Du hast erreicht, was du dir immer gewünscht hast«,
erwiderte Pierre schließlich. Jacquotte nickte. Mehr gab es
nicht zu sagen.
    Die Dämmerung brach an, und mit ihr breitete sich das
Schweigen aus, erfasste sie beide und gewann an Intensität.
Sie hatten die ganze Nacht in der anonymen Dunkelheit
geredet, doch der anbrechende Tag brachte sie zurück in die
Realität. Unsicher standen sie sich gegenüber, jeder mit
seinen

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