Joli Rouge (German Edition)
nachdenken, nicht nur meine Prise mit
dir zu teilen.« Jacquotte sprach die Worte freimütig aus.
Sie hatte nicht vor, lange genug in Cayone zu bleiben, damit
es L‘Olonnais gelang, seinen Preis einzufordern.
»Gibraltar ist nicht Maracaibo«, sagte er.
»Deshalb müssen wir hart sein. Nur ein
Überraschungsangriff wird uns die Stadt sichern.«
»Bist du schon derart einflussreich, um die Kapitäne davon
zu überzeugen?« bemerkte L’Olonnais süffisant.
»Ich nicht. Aber du.« Sie sahen einander an.
L’Olonnais verzog die Mundwinkel zu einem diabolischen
Grinsen. »Mein verschlagener Antoine«, lobte er. »Verzeih
mir, dass ich an dir zweifelte!«
»Lass uns zu den anderen Kapitänen gehen«, lenkte
Jacquotte ein und führte ihn aus der verborgenen Ecke in den
belebteren Teil des Schiffes. L’Olonnais folgte ihr.
Als die anderen Männer in Sicht kamen, hob sie stolz das
Kinn und trat in den Schein der Öllampen, die eine große
Landkarte erhellten. Die anwesenden Kapitäne studierten die
feinen Linien, die sich über das grobe Leinen zogen, und
augenscheinlich die Küstenlinie von Gibraltar sowie die
Stadt selbst darstellten. Die beiden spanischen Verbündeten
besprachen sich miteinander, während die drei abgesandte
Indios sie mit ausdruckslosen Gesichtern beobachteten. Sie
trugen lange Pfeile in ledernen Köchern nebst mannshohen
Bögen bei sich und kauten etwas, das sie beizeiten auf den
Boden spuckten. Unter ihrer glatten, tiefbraunen Haut war
das Spiel sehniger Muskeln zu erkennen, und ihre gutturale
Sprache erinnerte Jacquotte an die Wörter, die sie einst
gelernt hatte. Sie verstand, dass sie den See
conquibacao
nannten, wusste mit dem Begriff jedoch nichts anzufangen.
Als sie aufblickte, sah sie direkt in Pierres Augen und
stellte fest, dass ihm ihre blutende Wunde nicht entgangen
war. Misstrauisch verengten sich seine Pupillen in der Art
der Indios und Jacquotte erkannte, dass er mit ihnen
verwandt war. Vielleicht nicht mit diesem Stamm, aber gewiss
mit einem anderen. Er überragte die dunkelhäutigen Männer
und wirkte in seiner Kleidung zivilisierter, doch dieses
innere Glühen, das Jacquotte bei den Eingeborenen des Sees
bemerkt hatte, war auch Pierres ständiger Begleiter. Sie
kannte die Intensität, mit der er seit jeher nach seiner
Herkunft suchte. Durch seinen Namen gab er vor, Franzose zu
sein, wohl wissend, dass er der Bruderschaft damit etwas
vormachte. Darin sind wir uns ähnlich, dachte sie und wich
seinem forschenden Blick aus. Sie hasste ihn dafür, dass er
Zweifel in ihr gesät hatte. Seine Frage, ob sie auf ewig
Antoine bleiben wollte, nagte an ihr. Doch wenn sie nicht
Antoine sein wollte, wer wollte sie dann sein?
Bigford legte die Faust an seinen Mund und beobachtete die
Kapitäne. Er hatte gesehen, dass sich L’Olonnais und Du
Puits zurückzogen hatten und Du Puits später mit einer
blutenden Wunde am Hals in den Kreis der Umstehenden
getreten war. Seine Instinkte schlugen Alarm. Es lag etwas
in der Luft, das er noch nicht zu greifen vermochte. Erst
kurz vor dem Auslaufen war er zufällig Zeuge eines
Übergriffs geworden. Während er sich seinen Weg durch die
mit Unrat verschmutzten Straßen von Maracaibo bahnte, hatte
er Remi, den Gefolgsbruder von Pierre Le Picard, mit
heruntergelassenen Hosen an einer Straßenecke erblickt.
Zuerst erschien ihm die Situation befremdlich, bis er
L’Olonnais bemerkte, der sich in Hundemanier an dem
Flibustier verging. Bigfords erster Impuls war, sich
angewidert abzuwenden, doch seine Neugier siegte. Das Feuer
in seinen Lenden, das mit jedem Tag, an dem er Frauen
entbehren musste, leichter entflammbar war, schürte seine
Aufgeschlossenheit. Aus sicherer Entfernung, versteckt
hinter zertrümmerten Weinfässern, verfolgte er den Akt. Mit
jedem Stoß schien der Olonnaise seinem Opfer Befehle zu
erteilen, die dieses willig annahm. Als L’Olonnais seinen
Höhepunkt erreicht hatte, zückte er ein Messer, ritzte dem
aufschreienden Remi die empfindsame Stelle hinter dem Ohr
und saugte an der zugefügten Wunde, während sein Becken
heftig erzitterte. Bigford verzog angeekelt den Mund, als
L’Olonnais sich aufrichtete, Remi von sich stieß und seine
blutverschmierten Zähne zu einem Lachen enthüllte. Er wagte
kaum, sich zu bewegen und sah zu, wie Remi dem Olonnaisen
die Hose zuknöpfte und ihm in demütiger Haltung etwas
zuflüsterte. L’Olonnais streichelte den Unterwürfigen mit
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