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Joli Rouge (German Edition)

Joli Rouge (German Edition)

Titel: Joli Rouge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fischer
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eigenen Gedanken beschäftigt. Jacquotte kam es vor,
als hätte ihnen jemand ihre Augenbinde abgenommen.
    »Wenn du schlafen willst, dann bleibe ich hier«, sagte
Pierre. Es war ein ernst gemeintes Angebot und sie nickte
dankbar. Die Wunden raubten ihr die Kraft und sie rollte
sich schläfrig auf ihrem Umhang zusammen.
    Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als L’Olonnais mit
Steinen nach einigen Ratten warf, die sich an den Innereien
der Hühner labten. Ausgelaugt hockte er zwischen seinen
Männern vor einer Häuserwand und versuchte, seinen Durst zu
stillen. Gierig leerte er einen Becher Rum. Der braune Saft
lief ihm aus den Mundwinkeln und tropfte auf das zerrissene
Hemd, das seine von Schweiß und Blut glänzende Brust
enthüllte. Alle Sklaven waren seiner Folter erlegen. Sie
hatten eine bemerkenswert robuste Konstitution bewiesen,
doch kurz bevor die Sonne über den Horizont schielte, war
der Letzte der Mohren gestorben. L’Olonnais war bester
Laune, denn es war ihm gelungen, ihnen die Marschroute ihrer
Herren zu entlocken. Er würde sich auf den Weg machen,
sobald seine Männer ihren Rausch ausgeschlafen hatten. Ein
Rülpsen entschlüpfte seiner Kehle, und er trank einen
weiteren Schluck. Alkohol konnte ihm nichts anhaben. Sein
Wille war stärker als jeder Rum. L’Olonnais hielt mitten in
der Bewegung inne. War das Antoine, der dort aus dem Haus
trat? Er versuchte, seine schweren Lider anzuheben. In der
Tat! Sein feiner Maat hatte sich dünngemacht, kaum dass er
ein eigenes Schiff besaß. Das würde er ihm nicht durchgehen
lassen. Er knurrte. Picard! War es möglich? L’Olonnais riss
die Augen auf. Was er sah, schürte seine Eifersucht. Nur
mühsam gelang es ihm, sich zu beherrschen. Antoine und
Picard in trauter Zweisamkeit. Sie sahen einander nicht an
und gingen in verschiedene Richtungen davon. Dennoch war es
diese Selbstverständlichkeit, die L’Olonnais vor Wut
erzittern ließ. Die Freude über die stundenlange Folter war
wie fortgewischt. Er schlug einem seiner schnarchenden
Männer kurzerhand die Nase blutig, doch in seiner
Trunkenheit stöhnte dieser nur kurz auf. L’Olonnais sprang
auf. Er musste Vorkehrungen treffen!
    Zwei Wochen später brachen die Schiffe auf. Jacquotte
atmete die frische Luft ein, die aus den schneebedeckten
Gipfeln zu ihnen hinüberwehte. Je weiter sie südwärts
segelten, desto reizvoller wurde die Landschaft. Der
Maracaibo-See mit seinem schwarzen Wasser breitete sich vor
der Flotte aus. Die Uferzone wechselte von trockenem Braun
in ein intensives Grün, und man erkannte die hohen Berge,
deren Spitzen in den Wolken verschwanden. Entlang der Küste
siedelten Indianer, die ihre Häuser auf Bäumen errichteten.
Sie hatten Kundschafter auf Piraguas zu den Schiffen der
Flibustier entsandt und waren bereit, gemeinsam mit ihnen
gegen die Spanier zu ziehen. Aus diesem Grund war die
La
Poudrière
von zahlreichen Booten umzingelt, deren Marssegel
sich im Wind blähten, und deren Besatzung aus dunkelhäutigen
Männern mit fein geschliffenen Gesichtern bestand. Die
Spanier nannten sie
indios bravos,
und Jacquotte fand den
Namen treffend, denn in ihrer stolzen Körperhaltung lagen
Mut und Unbeugsamkeit.
    Es kam Jacquotte wie eine Ewigkeit vor, seit die
Flibustier Maracaibo widerstandslos eingenommen hatten. In
den vergangenen Wochen wurde geplündert und gebrandschatzt,
was die Stadt an der Westküste des Sees herzugeben
vermochte. Doch trotz Folterungen einiger aufgespürter
Bewohner war es nicht geglückt, erlesene Habseligkeiten
aufzuspüren. Der Baske vermutete, dass es den meisten
Einwohnern gelungen war, ihre Wertsachen rechtzeitig zu
vergraben. Selbst L’Olonnais‘ Gabe, auf vielerlei Arten zu
foltern, brachte sie nicht weiter. Als die Männer
schließlich anfingen, sich zu langweilen, beschloss Michel
Le Basque, einzig eine Garnison von dreißig Mann in den
Ruinen der Stadt zurückzulassen, sämtliche Beute sowie alle
Gefangenen auf die Schiffe zu verfrachten und mit dem Rest
der Brüder Segel gen Gibraltar zu setzen. Eine Aufgabe, die
er ursprünglich dem Olonnaisen hatte überlassen wollen. Doch
einer der spanischen Verbündeten riet ihm dazu, so viele
Brüder wie möglich mitzunehmen. Er war der Meinung, dass die
Einwohner von Gibraltar längst Unterstützung bei Gabriel
Guerrero de Sandoval, dem Gouverneur der Stadt Mérida,
angefordert hatten. So kam es, dass die gesamte Flotte den
See in

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