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Joli Rouge (German Edition)

Joli Rouge (German Edition)

Titel: Joli Rouge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fischer
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Strafpredigt. Sie hielt den Blick
gesenkt, weil sie fürchtete, seinen Augen zu begegnen. Als
er weiter schwieg, ging sie auf ihn zu, hielt jedoch sofort
inne, als er einen Schritt zurückwich.
    »Vergib mir«, sagte sie und hob den Kopf.
    Pierre ballte die Hände zu Fäusten. »Sprich nicht aus, was
du nicht so meinst.«
    »Es war ein Versehen.«
    Er holte tief Luft, bevor es aus ihm herausbrach: »Bei den
Hörnern des Teufels, dein Stolz wird dir eines Tages den Tod
bringen! Aber wenn du ihn suchst, dann finde ihn für dich
allein und spiele nicht mit dem Schicksal anderer. Ich habe
dich nicht den Umgang mit den Waffen gelehrt, damit du sie
gegen deine eigenen Leute einsetzt. Kein einziger Mann hier
würde je seinen Säbel gegen einen seiner Brüder erheben oder
ihn im Jähzorn herausfordern. Wenn du wie ein Mann behandelt
werden willst, dann benimm dich auch wie einer!«
    Pierre drehte sich um und zog Manuel im Vorübergehen auf
die Beine. Der Hund trabte voraus und Jacquotte blieb
zurück. Sie sah ihren Freunden nach und kämpfte mit ihren
widersprüchlichen Gefühlen. Benimm dich wie ein Mann, hatte
Pierre gesagt. Sie stampfte trotzig mit dem Fuß auf. Was
sollte das bedeuten? Sie hatte nie gefordert, wie ein Mann
behandelt zu werden. Dafür gab es keinen Grund. Sie konnte
kämpfen und jagen, Tiere ausweiden und Leder gerben, Bäume
fällen und schnitzen. Sie verrichtete dieselbe Arbeit wie
alle anderen. Warum war es mit einem Mal so bedeutsam, dass
sie eine Frau war?
    »
Allez zou
, Jacquotte«, rief Pierre gereizt und drehte
sich zu ihr um. »Es wird bald dunkel.«
    Jacquotte setzte sich humpelnd in Bewegung und reihte sich
kurz darauf in die Gruppe ein. Manuel lief schon wieder
umher, als wäre nichts passiert, und Jacquotte fragte sich,
wie sie ihrem Vater die Wunden erklären sollte.
    »Gibt es einen Grund, warum wir uns derart beeilen
müssen?« Sie versuchte, flach zu atmen, um die Schmerzen
gering zu halten. Pierres Tempo setzte ihr zu.
    »Heute kehren die Flibustier aus Port de Margot zurück. Es
wird ein Fest in der Siedlung geben«, erwiderte er.
    Jacquotte blieb stehen. Das war in der Tat eine
Überraschung, die weder ihr Vater noch Pierre erwähnt
hatten. Dabei bedeutete die Heimkehr der Männer, die auf
Kaperfahrt gingen, stets gutes Essen, reiche Beute und jede
Menge Arbeit im Vorfeld.
    »Ich hätte meine Hilfe anbieten müssen«, stellte sie fest
und sah Pierre vorwurfsvoll an, der sich zu ihr umdrehte.
»Warum hast du mich mitgenommen, wenn du bereits gewusst
hast, dass ein
banquet
geplant ist?«
    Pierre winkte ab. »Die Männer haben das Holz heute Morgen
geschnitten, bevor sie zur Jagd aufbrachen.«
    Eine Ahnung machte sich in Jacquotte breit. »Ihr wolltet
mich nicht dabei haben.«
    Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu und sie spürte,
wie die Wut unter ihrer Kopfhaut zu kribbeln begann.
    »Die Männer waren in Eile.«
    »Die Männer, die Männer …«, ätzte sie. „Was ist es nur mit
den Männern? Wir leben in einer Gemeinschaft. Jeder hat
seine Aufgaben. Warum benimmst du dich mit einem Mal so
eigenartig?«
    »Weil es bei den Bukanieren und Flibustier allein um
Männer geht! Siehst du das nicht?« Pierre gestikulierte
wild. »Die Bruderschaft nimmt keine Frauen auf. Das steht in
ihren Regeln. Und du bist nun mal eine …« Er zögerte und
sein Blick glitt über ihre Gestalt. »Eine Frau!«
    »Was für Regeln?«, fragte Jacquotte.
    „Die Regeln der Küstenbrüder!«
    »Was weißt du schon über die Regeln?«
    »Eine ganze Menge, wenn du es genau wissen willst. Mit
jedem Tag mehr. Und den kompletten Kodex erlerne ich am Tag
meiner Initiation.«
    »Deiner Initiation?« Jacquotte verschlug es die Sprache.
Konnte es sein, dass Pierre mehr Dinge vor ihr
verheimlichte, als sie geglaubt hatte?
    »Aber ich dachte …« Sie stockte und sah ihn ungläubig an.
Von Jérôme wusste sie, dass Frauen der Zutritt zur
Bruderschaft verwehrt war, allerdings galt das ihm zufolge
auch für Indianer. Den Erzählungen nach kam Pierres Mutter
Mencia bereits schwanger auf die Insel. Angeblich trug sie
das Kind längst unter ihrem Herzen, als die Spanier sie
raubten. Die Geschichten besagten, dass ihr Bauch deutlich
sichtbar war, als sie die Frau von Antoine Hantot wurde.
Somit war Pierre kein
mestice
, wie man die Mischlingskinder
von Weißen und Indianern nannte, sondern ein reiner Indio.
    »Sie machen für mich eine Ausnahme.« Pierre verschränkte

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