Joli Rouge (German Edition)
Manuel auf
seinen Rücken.
»Was erzählt man sich über die Frauen aus Frankreich?«
»Sie sind launenhaft und selbstverliebt. Sie weinen ohne
Grund, sind ängstlich und schnattern wie Papageien, wenn sie
untereinander sind. Sie schlagen dir ins Gesicht, jammern
aber, wenn man sie zu hart anpackt. Sie meckern und klagen,
sind nie zufrieden und spucken dir ins Essen, wenn du nicht
nach ihrer Pfeife tanzt.«
»Immerhin tun sie etwas«, murrte Jacquotte. »Ihr Männer
sitzt nur herum, bohrt in der Nase, esst und furzt und
erzählt von euren heldenhaften Taten, die mit jedem Mal
besser werden.«
Pierre stapfte den engen Weg bergauf. Obwohl sie sein
Gesicht nicht sah, spürte sie seinen Ärger deutlich.
»Deine spitze Zunge wird dir eines Tages zum Verhängnis
werden«, hörte sie ihn sagen.
»Wer die Wahrheit meiner Worte nicht ertragen kann, sollte
besser seine Ohren verschließen.«
»Hah!“, rief Pierre. »Und das aus dem Mund einer Karotte,
die vorgibt, eine Zwiebel zu sein. Du solltest besser unter
all den Schichten nach deiner eigenen Wahrheit suchen.«
»Im Gegensatz zu dir habe ich keine Angst, sie zu finden,
du vaterloser Balg«, empörte sich Jacquotte.
»
Casse-pieds
! Wenn du keine Frau wärst, würde ich dir für
diese Worte ein paar langen!« Pierres Nackenmuskeln spannten
sich, und sie wusste, dass sie einen Schritt zu weit
gegangen war. Trotzdem ließ sie nicht ab.
»Du traust dich wohl nicht, gegen mich zu kämpfen?«
»Ich scheue keinen Kampf, aber ich lege nicht Hand an
meine eigene Schülerin und schon gar nicht gegen eine Frau!«
»Verflucht sollst du sein, Gelbaugen-Pierre!« Sie stieß
ihm den Knauf ihrer Machete in die Kniekehle, und er
strauchelte. Für einen kurzen Moment löste er die Hand, mit
der er Manuel hielt, um sich abzustützen. Doch dieser
Augenblick reichte aus, Manuel abgleiten zu lassen. Mit
einem hilflosen Schrei rutschten die dicken Ärmchen von
Pierres Hals, und er fiel wie ein Sack nach hinten. Bevor
Jacquotte reagieren konnte, traf sie sein Gewicht. Sie wurde
zurück geschleudert und keuchte erschrocken auf.
Geistesgegenwärtig versuchte sie, sich an der Felswand
einzukrallen. Die Wucht des Stoßes riss ihr jedoch lediglich
die Fingerkuppen auf, ohne ihrem Fall Einhalt zu gebieten.
Wie zwei balgende Welpen kullerten sie den Pfad hinunter,
den sie gerade mühsam hinaufgeklettert waren. Jacquotte sah,
dass sie immer näher an den Abgrund gerieten, und stemmte
ihre Füße in den Boden, um zu bremsen. Auffliegender Staub
brannte in ihren Augen. Endlich stoppte ein Felsbrocken
ihren Sturz. Der Aufprall raubte ihr den Atem und nahm ihr
die Sinne. Als sie wieder zu sich kam, brannte ihr Rücken
wie Feuer und in ihrem Kopf hämmerte ein stechender Schmerz.
Instinktiv tastete sie nach Manuel, doch ihre Hand griff ins
Leere. Jacquotte blinzelte. Sie war unfähig zu rufen oder
sich zu bewegen. In ihren Ohren klang alles seltsam
gedämpft, und außer einem Sausen vernahm sie keine
Geräusche. Vorsichtig rollte sie auf Arme und Knie. Jeder
Knochen in ihrem Leib fühlte sich an, als hätte er seine
Position verändert. Nach kurzer Pause richtete sie sich auf.
Kurzzeitig wurde ihr schwarz vor Augen. Mit wackligen
Schritten versuchte sie, sich zu orientieren, als Pierre mit
einem weinenden Manuel im Arm an ihr vorbei ging. Sie hatte
nicht bemerkt, dass er ihnen gefolgt war. Seine Schulter
streifte sie barsch und der Blick, den er ihr zuwarf, sprach
Bände. Jacquotte straffte die Schultern und schlich hinter
ihm her. Jeder Schritt kostete sie Mühe, aber sie biss die
Zähne zusammen. Um nichts in der Welt wollte sie sich vor
Pierre die Blöße geben und ihn in seiner Meinung über Frauen
bestätigen. Der Weg zum Plateau kam ihr endlos vor. Ihre
stechenden Rippen ignorierend, setzte sie tapfer einen Fuß
vor den anderen.
Oben angekommen, sprang Pierres Hund freudig an seinem
Herrn hoch und leckte Manuels Gesicht, als dieser neben ihn
auf den Boden gelegt wurde. Ihr Bruder hatte mehrere Wunden
am Kopf, doch er setzte sofort zu einem Lachen an, das in
glucksendem Schluckauf endete. Pierre kniff ihn sanft in die
Wange, bevor er sich zu Jacquotte umdrehte. Es kam ihr vor,
als sähe sie sich mit seinen Augen. Ihr Leinenhemd war
zerrissen, ihre Knie blutig. Nervös rieb sie die
geschundenen Handflächen an ihrer Hose. Pierre war wütend
und sie wartete, dass er etwas sagte. Sein Schweigen war
schlimmer als jede
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