Joli Rouge (German Edition)
Entschlossen kämpfte
sie sich voran, schnitt Fliehenden den Weg ab, überwältigte
zwei Scharfschützen in einem Eingang und gelangte
schließlich zum Hafen, der verlassen dalag. Das Geschrei,
das die Übernahme einer Stadt mit sich brachte, verhallte an
den Kaimauern, und die Wellen schluckten das Gewehr- und
Kanonenfeuer. Jacquotte erlaubte sich, kurz innezuhalten und
Atem zu schöpfen. Die Anspannung machte ihre Sinne besonders
empfindsam, daher hörte sie die herannahenden Schritte
bereits, als sie noch weit entfernt waren.
Sie lauschte, spürte das rasche Näherkommen des Feindes
und wirbelte entschlossen herum. Sie hatte ihre Machete über
den Kopf erhoben, den Säbel im Anschlag, bereit, abzuwehren,
wer immer sich ihr in den Weg stellen würde. Wütend fixierte
sie ihren Angreifer. Pierre! Er nutzte das
Überraschungsmoment, packte ihren Arm und schob sie
rückwärts. Brutal drückte er sie gegen eine Wand. Der Stoß
presste ihr die Luft aus den Lungen. Sein Körper schirmte
sie ab, bevor eine gewaltige Detonation den Hafen
erschütterte. Das Haus hinter ihnen erzitterte. Trümmerteile
regneten auf sie herab, eine Staubwolke hüllte sie ein.
Jacquotte hustete. Pierres roher Griff schnürte ihr das Blut
ab. Sie begriff nicht, was geschehen war. Pierre nahm ihr
den Blick auf die Umgebung. Ärgerlich wollte sie sich
befreien, doch er ließ nicht locker. Herausfordernd sah er
sie an.
Der Nebel war dabei, sich zu lichten, und man hörte
Geräusche. Männer rannten in ihre Richtung. Jacquotte
fluchte kurz, als Pierre sie von sich stieß. Gemeinsam
hielten sie den spanischen Kämpfern stand, die mit Messern
und Knüppeln gegen sie vorgingen. Angelockt durch die
Erschütterungen strömten immer mehr Flibustier aus den
Seitenstraßen herbei, während eine spanische Kriegsgaleone
im Hafenbecken ihre Ladung auf die eigenen Leute abfeuerte,
in der Hoffnung, dabei auch den Feind zu treffen. Dröhnend
fiel ein Warenlager in sich zusammen, und ein
überspringender Funke entzündete mehrere Fässer mit
Schießpulver, die in seinem Inneren lagerten. Die Warnrufe
der Umstehenden kamen zu spät, als mit zitternder Explosion
eine rotglühende Wolke in den blassblauen Himmel stieg.
Durch die Druckwelle wurde Jacquotte auf den Rücken
geschleudert. Ihr Kopf dröhnte und sie spürte die Hitze, die
in ihre Haut biss. Keuchend kroch sie rückwärts, während
schreiende Männer wie lebende Fackeln an ihr vorüberrannten
und ins rettende Wasser des Hafens sprangen, um die Flammen
zu löschen. Ehe sie sich versah, packte Pierre sie am Kragen
ihres Umhangs und zog sie hinter sich her. Sie ließ ihn
gewähren. Die Explosion hatte sie geschwächt, das Atmen fiel
ihr schwer. Erst in der Nähe der Kirche setzte er sie ab.
Sein Gesicht war rußgeschwärzt.
»Du solltest vorsichtiger sein, sonst ist das Spiel zu
Ende, ehe es begonnen hat«, bemerkte er trocken.
»Was habe ich zu verlieren?«, krächzte sie und konnte
nicht verhindern, dass sie lächelte. Die Aufregung machte
sie euphorisch. Hatte sie seine Gesellschaft vorhin noch als
Belastung empfunden, wusste sie nun zu schätzen, dass er ihr
gefolgt war. Er erwiderte ihr Lächeln, bevor sein Gesicht zu
Stein erstarrte. Ratlos folgte sie seinem Blick und erkannte
Remi, der sie aus einiger Entfernung beobachtete. Ein
finsterer Ausdruck lag in seinen Augen. Jacquotte versteifte
sich und all ihre Sinne schlugen Alarm. Unschlüssig blickte
sie zurück zu Pierre, der zornig schnaubte. Aus den
Augenwinkeln sah sie, dass Remi kehrtmachte und davonrannte.
Ehe sie reagieren konnte, setzte Pierre hinter ihm her. Sie
fröstelte und sah sich beunruhigt um. Das war bereits das
zweite Mal, dass sie nachlässig gewesen war! Sie schluckte
verärgert und spürte mit einem Mal die verbrannten Stellen
in ihrem Gesicht. Wachsam zog sie sich zurück.
Als die Dämmerung ihren feuchten Atem durch Gibraltar
blies, war Pierre immer noch auf der Suche nach Remi.
Gespannt pirschte er die Straßen entlang, über die sich
allmählich eine angespannte Ruhe legte. Pierre wusste um die
Brustwehre, die die Flibustier in weitläufigem Radius um die
Kirche errichtet hatten, und hinter denen er sich längst
hätte einfinden müssen. L’Olonnais und Moïse Vauquelin
befürchteten weitere Angriffe. Es war nicht klar, wie vielen
Einwohnern die Flucht gelungen war, und bisher war keine
Zeit gewesen, die zahlreichen Toten zu zählen. Seinen
letzten
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