Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joli Rouge (German Edition)

Joli Rouge (German Edition)

Titel: Joli Rouge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fischer
Vom Netzwerk:

stummen Schrei auf. Pierre taumelte zurück.
    »Der Kodex kann dich nicht richten«, flüsterte er. »Aber
ich kann es.«
    Remi spuckte Blut. Mit zitternden Händen zog er den Säbel
aus seiner Brust und starrte Pierre fassungslos an.
    »L’Olonnais hatte recht«, röchelte er. »Nur selten gelingt
es dem Menschen, sein Herz nicht an den falschen zu hängen.«
Er rutschte an der Wand entlang zu Boden. Pierre wollte ihn
auffangen, unterließ es aber.
    »Ich habe ihm nichts gesagt.« Sein Freund rang nach Luft.
Blutblasen quollen zwischen seinen Lippen hervor. Pierre
beugte sich zu ihm hinunter.
    »Gefolgsbrüder bis in den Tod«, murmelte er heiser. Ein
Zucken ging durch Remis Körper, und Pierre schloss ihm mit
einer fahrigen Handbewegung die Augen. In ihm tobte ein
Sturm. Er hatte Remi gerichtet. Schwerfällig hob er den Kopf
und sah mit verschwommenem Blick zu seinen Kameraden
hinüber.
    Einige Tage später schwärte Verwesung in der drückenden
Luft. Die Flibustier waren mit ihren Schiffe in den
verwüsteten Hafen gesegelt und schleppten die Toten herbei,
die der Kampf um die Übermacht der Stadt gefordert hatte.
Sie zählten über fünfhundert spanische Leichname, darunter
sogar den Gouverneur von Mérida, Gabriel Guerrero de
Sandoval. Im Vergleich zu dieser immensen Zahl hatten die
Brüder kaum Verluste zu beklagen. Vierzig Tote und dreißig
Verwundete dezimierten ihre Truppe, die sich inzwischen in
Sicherheit wähnte und plündernd durch Gibraltar zog.
L’Olonnais überwachte das Treiben am Hafen und schritt nur
zu gerne mit seiner Peitsche ein, wenn Gefangene in Tränen
ausbrachen, die einen Angehörigen auf eine der beiden Barken
trugen, die man später hinaus auf den See schleppen würde,
um sie zu versenken.
    Pierre beobachtete das Massenbegräbnis an der Seite des
Basken. Bigford, der sich ein Tuch vor Mund und Nase
presste, trat an sie heran. Der Baske nickte ihm freundlich
zu.
    »Wie sehen die Verluste in Eurer Mannschaft aus,
Engländer?«, erkundigte er sich. Sein Blick war unstet und
Bäche von Schweiß liefen über sein aufgedunsenes Gesicht, um
im Gebüsch seines ungepflegten Barts zu versiegen.
    »Ich habe lediglich fünf Männer zu beklagen, großer
Baske«, erwiderte der Angesprochene gedämpft und würgte.
    Pierre konnte Bigfords Leid nachvollziehen. Auch sein
Magen revoltierte beim süßen Geruch des Verfalls um ihn
herum, und er spürte seine Zunge dick und schwer in seinem
Mund liegen. Er sehnte sich nach Wasser, aber die Flibustier
hatten die meisten Kalebassen mit Frischwasser achtlos
zerstört.
    »Nennt mich nicht mehr groß«, polterte der Baske. »Es ist
offensichtlich, dass ich bei diesem Überfall den Kürzeren
gezogen habe. Die Kapitäne folgen dem Olonnaisen. Welch
Schmach, das mitansehen zu müssen!«
    »Was sind Eure weiteren Pläne?« Pierre drehte den
zahlreichen Toten, die auf einem Haufen am Kai in der Sonne
dörrten, den Rücken zu. Seine Gedanken kreisten um Remi. Er
brauchte Ablenkung.
    Der Baske blähte die Nasenflügel. »Ihr fragt mich das? Ihr
habt mich hintergangen wie alle anderen. Ich wüsste nicht,
auf wen ich noch zählen könnte!«
    »Ihr seid Major der Île de la Tortue«, gab Pierre zu
bedenken.
    »Aye! Und damit den Weisungen von D’Ogeron unterstellt!«
    Pierre und Bigford wechselten einen Blick. Der Baske
stapfte wütend mit dem Fuß auf.
    »Was für einen Sinn hat dieses Amt, wenn mir die Brüder
nicht mehr folgen?« Er schüttelte griesgrämig den Kopf und
richtete seine Augen auf Bigford. »Was wisst Ihr über Euren
Landsmann, den Kapitän, den man Henry Morgan nennt?«
    Bigford hob die Augenbrauen und nahm das schützende Tuch
von seinem Gesicht. Ihm war anzusehen, dass er sich bei der
Frage unwohl fühlte. »Nun, er ist Colonel der
Port Royal
volunteer militia
. Er ist verantwortlich für den Ausbau der
Verteidigungsanlagen rund um die Stadt. Eine
verantwortungsvolle Aufgabe.«
    Michel Le Basque lachte. »Ihr braucht mich nicht zu
schonen, Bruder. Ich weiß, dass er ein großer Kapitän ist.
Seit Christopher Myngs hatte Jamaika keinen solchen Anführer
mehr. Er vereint zahlreiche Männer unter sich und bedient
sich gewisser Regeln, die unserem Kodex nicht unähnlich
sind. Sprecht die Wahrheit, Bigford, was wisst Ihr?«
    Bigford räusperte sich. »In der Tat, er ist ein großer
Kapitän mit gleichsam großen Ambitionen. Ich hörte ebenfalls
von den Regeln, die für jede seiner Kaperfahrten

Weitere Kostenlose Bücher