Joli Rouge (German Edition)
Nase an Nase, als er
flüsterte: »Émile war mein Leben! Hüte deine Zunge, denn du
kanntest ihn am allerwenigsten. Ich war längst sein Freund,
da war Émile noch viel zu blauäugig, um zu verstehen, wie
viel Wert wahre Freundschaft haben kann. Er hat das Meer
gehasst, deshalb ist er kaum zur See gefahren. Und er war
kein Kämpfer, das steckte niemals in ihm. Hättest du deine
Augen für ihn geöffnet, als er noch unter den Lebenden
weilte, dann wüsstest du das auch.«
Jacquotte befreite ihren Arm mit einer ruckartigen
Bewegung. Wie ein sprungbereites Krokodil baute sich Jérôme
vor ihr auf und versperrte ihr den Weg.
»Es war nicht Émiles Wille, dass ich heirate! Ihm lag
daran, dass ich eigenständig bin und mich verteidigen kann«,
rief sie.
Jérômes Augen wurden hart. »Émile war geprägt von Ängsten.
Er wollte dich durch seine Wünsche nicht verärgern. Du warst
sein Licht. Er war ständig in Sorge um dich. Glaub mir, es
war seine Hoffnung, dass du heiratest und ein behütetes
Leben führst. Er glaubte, dass vielleicht Pierre …« Er brach
ab.
Jacquotte wollte sich nicht anmerken lassen, dass die
Erwähnung des Namens sie traf. Wütend über die Gefühlsregung
schrie sie Jérôme an: »Pierre ist ein Verräter! Er war kaum
Mitglied der Bruderschaft, als er mit seinem Gefolgsbruder
Remi das Weite suchte. In mir steckt mehr Mut, als Pierre je
finden wird!« Sie spürte das Wasser, das ihr aus den Haaren
über das Gesicht lief, während sie und Jérôme sich lauernd
umkreisten.
»Es steht dir nicht zu, die Gebote der Natur ändern,
Jacquotte. Eine Frau ist dazu bestimmt, Kinder in die Welt
zu setzen, und du würdest gut daran tun, dieser Bestimmung
zu folgen. Krieg, Blut und Muskete sind nicht die Welt der
Frauen!«
»Ich wünschte, du würdest die Entschiedenheit, mit der du
solche Behauptungen aufstellst, gleichermaßen nutzen, um
deine Engstirnigkeit zu besiegen. Die Männer sind mir im
Gefecht gegen die Spanier widerspruchslos gefolgt!«
Jacquotte war verzweifelt. Sah er denn nicht, dass sie zu
kämpfen vermochte?
»Wenn der Wald brennt, rennen die Hunde auch mit den
Schweinen«, knurrte Jérôme und wollte sie packen, aber sie
sprang zur Seite.
»Die Männer werden mich ebenso wenig in die Finger
bekommen wie du.«
»Du machst mich rasend, Weib.« Jérôme wurde ungehalten.
»Willst du dich auf ewig mit Manuel in den Wäldern
verbergen? Immer auf der Hut vor den Männern dein Dasein
fristen? Wohin willst du gehen, wenn die Spanier diesen Teil
der Insel eines Tages zurückerobern? Dich interessiert die
Politik nicht, aber, wie mir scheint, deine Zukunft ebenso
wenig.«
»Die Männer werden lernen, mich zu dulden.« Jacquotte
verfolgte jede seiner Bewegungen.
»Bei Gott, in ihren Betten werden sie dich dulden!« Er
sprang sie an ehe sie reagieren konnte. Während Jacquotte
noch erschrocken Luft holte, packte er sie an der Kehle und
zwang ihr das Messer aus der Hand. Überrascht ließ sie die
Waffe auf den von Wurzeln zerfurchten Boden fallen und
starrte Jérôme an. Seine schwielige Hand drückte warnend zu.
Jacquotte hörte ihren eigenen Herzschlag und schluckte. Wie
konnte er es wagen! Sein massiger Körper bezwang sie, und
sie war unfähig, sich zu befreien.
»Lass mich dir eine Lehre erteilen«, flüsterte Jérôme mit
rauer Stimme in ihr Ohr. »Das oberste Gesetz der Männer
lautet wie folgt: Nur der Stärkere überlebt! Du hast keine
Vorstellung, wie es außerhalb dieser Insel zugeht,
Jacquotte. Glaub mir, du brauchst einen Beschützer.«
Jacquottes Gedanken schlugen Purzelbäume. Sie dachte an
Pierre und seinen Verrat. An ihre Gefühle für ihn und die
Eifersucht auf seinen Gefolgsbruder Remi. An ihren Vater,
der für immer von ihr gegangen war. An Bigford und an
Jérôme, die sie mit Gewalt dazu drängen wollten, sich ihrem
Willen zu beugen. Der Splitter in ihrem Hals wurde größer,
so dass sie kaum noch atmen konnte. Sie war es leid, von
Männern enttäuscht und dominiert zu werden. Sie wollte
kämpfen und frei sein, ihr Leben so zu bestimmen, wie sie es
für richtig hielt! Mit einem Schrei bäumte sie sich auf und
es war, als wenn der Splitter in ihrem Hals platzte. Sie sah
Pierres Gesicht vor sich, als sie ihre Stirn mit voller
Wucht gegen Jérômes Nase schlug. Mit Genugtuung registrierte
sie das Knirschen des Knorpels. Jérôme stöhnte auf, und
Jacquotte entkam seinem eisernen Griff. Schnell schuf sie
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